
Bergwandern in Berlin?
Der Natur wegen reist man nicht unbedingt nach Berlin. Dabei trifft man in der grünsten Metropole Deutschlands häufig darauf – und auch auf ganz viele Berge. Also nichts wie los zum Wandern in Berlin!
Von Silvia Schaub
Die Bergschuhe hätten wir gut zu Hause lassen können, als wir von der S-Bahn-Station Heerstrasse im Westen der Stadt Richtung Grunewald durch den lichten Wald laufen und dort die verschlungenen Wege hinauf auf den Teufelsberg nehmen. Und ins Schwitzen sind wir auch nicht wirklich gekommen. Obwohl: Das ist immerhin der zweithöchste Berg Berlins! Er war sogar lange Zeit der Spitzenreiter, bis er von den Arkenbergen vom Thron gestossen wurde. Bei nur 120,1 Metern würden wir hierzulande wohl von einem Hügel sprechen. Doch die Berge Berlins bieten das, was man in einer topfebenen Stadt oft vermisst: Überblick, Weitblick, Ausblick.
Weshalb wir für einmal Berlins Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor, die Museumsinsel oder die Gedächtniskirche links liegen lassen, hat mit dem handlichen Buch «Bergführer Berlin» zu tun. Dieses schenkte mir meine Berliner Freundin mit einem Augenzwinkern – als Dank dafür, dass ich sie auf die Schweizer Berge gelotst hatte. Wieso also nicht mal zum Wandern nach Berlin fahren?
Für Wilfried Griebel, den Initianten des Buches mit dem Untertitel «Ein Stadtführer für urbane Gipfelstürmer», ist längst klar, weshalb man Berlin als Wanderdestination auf dem Radar haben sollte. «Berge sind an sich unverrückbar. Aber bei den Berliner Bergen weiss man nie, ob sie beim nächsten Besuch noch hier sind oder schon neue entstanden sind», meint der Psychologe aus München lachend. «Das ist das eine, das andere: In dieser pulsierenden Stadt mit Museen, Events und Sehenswürdigkeiten braucht man auch mal etwas Entspannung.»
Ein Berg aus Schutt, …
Im Gegensatz zu den Alpen sind viele der Berliner Berge keine geologischen Gebilde, sondern von Menschenhand geschaffen. So wie der Teufelsberg, auf dem wir nun stehen. Manche nennen ihn ein Monument des Scheiterns, wurde er doch aus den Trümmern Berlins nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gebaut. 26 Millionen Kubikmeter Schutt türmen sich hier auf. Rund eine Million Bäume wurden auf diesen Haufen gepflanzt. Und so bekamen die Berliner ein Naherholungsgebiet – mitsamt Skilift und -piste (1985 wurde sogar ein Weltcup-Skirennen veranstaltet!), Rodelbahn, Sprungschanze und Fahrrad-Cross-Anlage.
Aber schon bald entdeckten die Briten und Amerikaner die Vorteile dieser Erhöhung – und bauten während des Kalten Krieges eine Abhörstation auf den Gipfel. Die fünf ikonischen Kuppeln sehen mittlerweile eher aus wie zerfledderte überdimensionierte Fussbälle. Es gibt so manche Geschichte über «das Ohr» zu erzählen, wie wir von Jean-Baptiste Schöneberger erfahren. Der Architekt für historische Geschichtsforschung kennt jede Ecke auf diesem Gelände, das seit 2011 für Führungen offen ist. In den 1880er-Jahren sollten hier Villen für die bessere Gesellschaft entstehen, 1916 war eine Olympiade geplant und später begann Hitlers Architekt Albert Speer, ein technisches Hochschulzentrum für die Welthauptstadt Germania zu bauen. Alles kam anders. Heute kommt man nicht nur dieser Geschichten wegen auf den Teufelsberg. Das überwiegend fensterlose Betongebäude wurde irgendwann von Kunstschaffe den entdeckt und gilt inzwischen als die grösste Graffiti-Galerie Europas.

ein richtiger Moränenberg …
Als wir auf dem gut signalisierten Weg zum benachbarten Drachenberg weiterwandern und auf halber Strecke einen nackten Felsen samt Gipfelkreuz entdecken, staunen wir nicht schlecht. Alles Fake und von Menschenhand gebaut. Hier können die Mitglieder des Deutschen Alpenvereins ihre Kletterfähigkeiten auf 60 verschiedenen Routen testen. Und dann stehen wir auf dem Drachenberg, der eine unglaubliche Weitsicht bietet auf die Stadt mit Funkturm, Fernsehturm, Olympiastadion und Le Corbusiers Wohnhaus.
Man hat in der Tat das Gefühl, Berlin bestehe nur aus Bergen. Manche geben gleich dem ganzen Stadtteil den Namen wie Prenzlauer Berg und natürlich: Kreuzberg. Dieser gerade mal 66 Meter hohe Hügel bildet geologisch die Südgrenze des Berliner Urstromtales, soll 1290 erstmals urkundlich erwähnt worden sein und ist ein richtiger Moränenberg. Weshalb wir dorthin wandern, ist dem Viktoriapark geschuldet. Dort fliesst der einzige Gebirgsbach Berlins, der sogenannte Viktoria-Wasserfall, eine Anlage aus Kalkstein und Granit. Der Park wurde 1888 zur Erinnerung an Viktoria, die Gemahlin von Kaiser Friedrich III., Tochter der legendären Queen Victoria, gebaut. Der Wasserfall kam erst ein paar Jahre später dazu und sollte eine Gebirgslandschaft darstellen.
… und ein Gipfelkreuz
Am Beispiel des Neuen Hahnebergs in Spandau zeigt sich auch, wie aus einer Kiesgrube über die Jahre ein Berg von 87,6 Metern entstehen kann. Man muss nur genügend Schutt anhäufen. 2009 wurde der Berg zum Landschaftsschutzgebiet erklärt. Einige Meter unter dem Gipfelkreuz steht heute die Bruno-H.-Bürgel-Sternwarte mit dem angeblich leistungsfähigsten Spiegelteleskop Berlins (bhb-sternwarte.de). Gut möglich, dass man damit in der Ferne sogar die richtigen Berggipfel sieht.
Vor unserer Berlinreise haben wir das Wandern in der deutschen Hauptstadt noch ein bisschen belächelt, nun stellen wir erfreut fest, dass es hier unzählige Wanderrouten (und dazu auch noch viele Velorouten) gibt, sind doch rund 30 Prozent Berlins Grün- und Waldfläche. Seit 2019 gibt es sogar eine 150 Kilometer lange Tour rund um Berlin. Also nehmen wir uns eine dieser Etappen vor und fahren mit der S-Bahn nach Waidmannslust im Norden der Stadt. Nur ein paar Hundert Meter und schon stehen wir am Tegeler Fliess, diesem beliebten Berliner Naherholungsgebiet. Wir wandern durch lichte Wälder und idyllische Moorlandschaft vorbei am Hermsdorfer See und weiter zum Eichwerder Steg. Biker, Skaterinnen und Wanderer kreuzen den Weg, der anfangs noch an charmanten Stadtvillen vorbeigeht, schon bald aber mitten durch unendliches Grün führt.
Wir hätten gerne noch weitere Gipfel Berlins bestiegen. Denn das Buch mit 57 vorgeschlagenen Wanderungen enthält viel Geschichte über die Stadt und gibt praktische Tipps zu Anreise, Einkehrmöglichkeiten und wie man noch langsamer hinkommt. Man solle sich beim Wandern durchaus etwas der Musse hingeben, wünscht sich Herausgeber Griebel. Aber die Distanzen gilt es im Auge zu behalten, denn hier ist alles etwas weitläufiger. Die Berge Berlins werden hoffentlich nicht so schnell wieder verschwinden. Ganz im Gegenteil: Manche werden sogar weiterwachsen. In Berlin ist das möglich.

Anreise: Mit dem Nachtzug Night Jet ab Zürich direkt nach Berlin unter www.sbb.ch
Unterwegs: Mit der Berlin WelcomeCard ABC kann man auch im Umland von Berlin mit dem ÖV fahren unter www.berlin-welcomecard.de
Literatur: «Bergführer Berlin, ein Stadtführer für urbane Gipfelstürmer», Wilfried Griebel und weitere Autoren, BeBra Verlag, ca. 25 Franken; «Bergführer Potsdam, die schönsten Spaziergänge zu den 75 Gipfeln der Stadt», Wolfgang Mörtl, BeBra Verlag, ca. 28 Franken; «WildBerlin, 50 grüne Sehnsuchtsorte in der Hauptstadt», Gary Schunack, BeBra Verlag, ca. 25 Franken.
Führungen: Abhörstation auf dem Teufelsberg unter www.teufelsberg-berlin.de
Allgemeine Infos: www.visitberlin.de, www.dav-berlin, www.alpenvereinaktiv.com
Die Reise wurde teilweise unterstützt von Visit Berlin.