Weiter zum Inhalt
Trenitalia Domodossola 1
Urs Geiser

«Sciopero!» – «Streik!». Auf die Frage, was einem zu den Ferrovie dello Stato Italiane FS als Erstes einfällt, hätten einst viele genau dieses Reizwort genannt. Zwar tritt ihr Bahnpersonal auch heute noch dann und wann in den Ausstand, doch mit der heutigen Trenitalia wird ganz anderes assoziiert, zum Beispiel der Hochgeschwindigkeitszug «Frecciarossa», roter Pfeil. Die Staatsbahn fährt in aller Regel so zuverlässig, dass man in Deutschland vor Neid erblasst. Was der Schweiz mit Würfen wie Bahn 2000, Taktfahrplan und NEAT gelang, nämlich der Eintritt in ein neues Eisenbahn-Zeitalter, schaffte Italien mit seinem Hochgeschwindigkeitsnetz. Und beide zusammen haben sie den S-Bahn-Verkehr zwischen dem Tessin und der Lombardei mit dem «TILO» auf ein ganz neues Niveau gehoben.

Kürzlich lief Trenitalia in einem Ranking europäischer Staatsbahnen sogar den SBB den Rang ab. Das hat wesentlich mit den Treni ad Alta Velocità (TAV) zu tun, die konkurrenzlos schnell die grossen Zentren verbinden, namentlich auf der Hauptachse von Mailand nach Rom und Neapel. Kein Wunder, dass die SBB nun ganz offiziell damit liebäugeln, TAV anzuschaffen, mit denen Fahrgäste, die im Morgengrauen in Zürich starten, umsteigefrei am frühen Nachmittag bereits am Tiber wären. Unser Roter Pfeil, der legendäre Luxuszug, lässt grüssen!

Die App, die «bella figura» macht

Nicht nur mit ihrem Hightech-Rollmaterial glänzt Trenitalia, sondern auch mit digitalen Dienstleistungen. Die Umfrage im digital versierten Freundeskreis ist nicht repräsentativ, aber die Trenitalia-App bekommt unisono Bestnoten für ihre Nutzerfreundlichkeit. Sie sei mindestens so gut wie die der SBB.

Fangen wir bei der Reiseplanung an. Demnächst stehen, zur Kirschblüte oder Kirschenernte, Wandertage in der Emilia-Romagna an, von denen in diesem Heft zu lesen sein wird. Auf www.trenitalia.com suchen wir nach der passenden Verbindung nach Vignola, ab Domodossola. Bis dort ist ja das GA gültig, doch die Eingabe eines Abgangsorts in Italien empfiehlt sich auch deshalb, weil nur so alle Verbindungen erscheinen. 39,75 Euro, ohne allfällige Zuschläge, kostet das billigste Billett – Reisezeit 7:02 Std. –, das teuerste von 123,85 Euro an aufwärts (5:11). Für die schnellsten Verbindungen (4:32) sind Billette ab knapp 60 bis 90 Euro im Angebot.

Fahrten in den reservationspflichtigen roten oder Silberpfeilen gehen ins Geld, es sei denn, man ergattert ein Sparbillett («Economy»). Die sind häufig schon weit im Voraus ausverkauft. Ist das Trenitalia-Angebot mal unbefriedigend, schaue man bei der privaten Konkurrenz, der Betreiberin der Italo-Züge (www.italotreno.com), vorbei. Von Interrail will diese allerdings nichts wissen.

Wenn der Bus zum Zug kommen muss

Auch bei der Suche nach Buslinien oder einem Taxi ist das Internet bekanntlich ein Segen. «Orari autobus Vignola Zocca» geben wir aus aktuellem Anlass ein: Die nächsten Abfahrten erscheinen sofort, während der SETA-Fahrplan auf deren Homepage zum Herunterladen bereitsteht («Die fettgedruckten Kurse sind auch bei Streik gewährleistet»!). Volltreffer. Aber es sei nicht verhehlt, dass die Planung von Busfahrten in Italien oft eine Wissenschaft für sich ist. Sonntags geht häufig gar nichts, zu Schulferienzeiten (wann sind die?) oft wenig, und Kooperation untereinander – zumal über Provinzgrenzen hinweg – ist für die zahllosen Busgesellschaften im Land offenbar ein Fremdwort.

Da wird mit der grossen Kelle angerührt

«Wir bauen heute das Netz von morgen», vermeldet auf ihrer Homepage selbstbewusst die Rete Ferroviaria Italiana RFI, die Infrastrukturgesellschaft unter dem Dach der FS. Beeindruckende Summen – Dutzende Milliarden, zu guten Teilen aus den EU-Töpfen zum Wiederaufschwung nach der Pandemie – investiert sie in Ausbauten, auch zwecks Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene. Dessen Anteil soll bis 2030 etwa 30 Prozent betragen, was weit mehr als einer Verdoppelung gleichkäme. Besonders wichtig dafür sind der Brenner- und der Mont-Cenis-Tunnel sowie das dritte Geleise am Giovipass, der Verbindung zwischen Genua und Piemont/Lombardei.

Dem vernachlässigten Mezzogiorno winken die TAV-Linien Neapel–Bari und Salerno–Reggio Calabria – Letztere steckt noch im Planungsstadium –, und auch Sizilien soll nicht aussen vor bleiben. Die Liste der RFI-Baustellen ist endlos lang und zeigt, dass auch Nebenlinien ertüchtigt werden. In unserer Nachbarschaft sticht dabei die Elektrifizierung der Linie Chivasso–Aosta bis Ende 2026 hervor.

Apropos Nebenlinien: Hier hat am Rollmaterial oft der Zahn der Zeit genagt. Dafür ist das Reisen unglaublich günstig und oft landschaftlich spektakulär noch dazu. Zum Spottpreis von 23 Euro geht’s zum Beispiel, in rund sechs Stunden, von Domodossola über Turin nach Cuneo, zunächst im Bummler via Ortasee nach Novara, dann in Regioexpresszügen. Bei guter Fernsicht ist dabei peu à peu die ganze Alpenkette vom Monte Rosa bis zum Monviso zu bewundern.

Trenitalia Domodossola 2
Urs Geiser
Wie es beliebt: Billettkauf auf der wirklich patenten Trenitalia-App, am Schalter oder, je nach Länge der Warteschlangen, am bedienungsfreundlichen Automaten.

Grosszügig auch beim Velotransport

Für gerade mal 3 Euro 50 pro Tag fährt dabei das Velo mit. In Regionen wie Ligurien, den Marken oder Sizilien ist dessen Transport in Regionalzügen sogar kostenlos. Und steckt das zerlegte Velo im Packsack, mit Maximalmass 80x110x45 cm, gilt dies überall, selbst auf den TAV. Um auf Nummer sicher zu gehen, vergewissert man sich, ob bei den Angaben zum gewünschten Zug das Velo-Piktogramm vorhanden ist. Das Veloticket – «Supplemento Bici» – ist auch an den Automaten am Bahnhof erhältlich (und will dann noch abgestempelt sein).

Seit 2020 bieten auch viele Intercityzüge im Wagen Nummer 3 sechs Veloplätze. Die nötige Reservation lässt sich neuerdings auch via App vornehmen, wiederum zum unschlagbaren Preis von 3 Euro 50. Zwar gibt es auch in Eurocity-Zügen – so von Zürich nach Bologna, Venedig oder Genua – einzelne, sehr begehrte Stellplätze für Velos. Da habe er jedoch zuerst auch schon Berge von Rollkoffe n wegräumen müssen, unter bösen Blicken von Mitreisenden, sagt unser Experte im Freundeskreis. Viel entspannter sei es, bis Mailand den Regionalzug zu nehmen. Und am Gotthard die Bergstrecke.

Der handgeschriebene Fahrplan

Ein Loblied noch auf den Provinzbahnhof, so erneuerungsbedürftig dort die Infrastruktur häufig auch ist. Wer sein Billett immer noch lieber von Mensch zu Mensch löst und gern Zwischenhalte einlegt, sollte erwägen, dies in Como oder Domodossola zu tun. Beide Eingangspforten für Bahnreisende aus der Schweiz sind alleweil einen Aufenthalt wert. Die Verkaufsstelle im Bahnhof Domodossola hat grosszügige Öffnungszeiten von Montag bis Sonntag, Bedienung und Beratung sind erfahrungsgemäss tadellos.

Und nie werden wir unsere Lieblings-Schalterbeamtin in Acqui Terme vergessen. Wir waren auf der Heimreise von Savona, ohne Eile, und sahen uns als Erstes den hübschen Thermalbadeort an. Ob es fahrplantechnisch auch noch für eine Stippvisite in Fossano reichen könnte, war danach die grosse Frage. Die junge Frau brauchte nicht lange zu überlegen, zückte ein Stück Papier und Bleistift, notierte unseren Fahrplan mit Ankunfts- und Abfahrtszeiten an den zwei oder drei Umsteigeorten und wünschte uns strahlend «buon viaggio e arrivederci». Das kann auch die beste App nicht.

Nützliche Links

www.trenitalia.com
www.thetrainline.com/it
Gute, wenn auch lückenhafte Inspirationsquelle zur Reiseplanung: www.rome2rio.com