Pedibus? Pedizug!
Der «Schulbus auf Füssen» fährt auch mit dem Zug. So zwischen den Walliser Dörfern Randa und Täsch im Mattertal und seit dem neuen Schuljahr auch zwischen Lax und Fiesch im Goms.
Im Versammlungssaal des Schulhauses in Lax (VS) herrscht eine angespannte Stimmung. Vor drei Jahren sassen die Eltern bereits einmal am selben Ort. Damals hatten sie einstimmig beschlossen, dass ein Schulbus ihre Kinder in die Schule ins benachbarte Fiesch fahren soll. Der alternative Vorschlag der Gemeinderätin Andrea Imhasly, den Schulweg mit der Matterhorn Gotthard Bahn (MGBahn) zurückzulegen, blieb chancenlos.
Heute ist es anders. In den nächsten Jahren wird gebaut auf der Kantonsstrasse zwischen Lax und Fiesch. Ab Schulbeginn werden die jüngeren Kinder in Begleitung einer erwachsenen Person mit dem Zug in die Schule fahren. Heute Abend unterschreiben die Begleitpersonen ihren Anstellungsvertrag für diesen Pedibus – oder eben Pedizug – mit der Gemeinde.
Lösungen werden gesucht ...
Die Eltern äussern im Saal ihre Bedenken. Während der Hochsaison sind die Züge der MGBahn oft überfüllt und verkehren mit Verspätung. Wie bringt man die Kinder in den übervollen Zug? Schaffen es die vierjährigen Kindergartenkinder, die Strecke vom Schulhaus Fiesch zum Bahnhof in sportlichen zehn Minuten zurückzulegen? Gerade im Winter, wenn sie noch Skihosen und Winterausrüstung anziehen müssen?
Der anwesende Gemeinderat ist sich der Schwierigkeiten bewusst. Aber der Fahrplan ist klar. Ab dem neuen Schuljahr wird gestartet und bei Bedarf werden Verbesserungen vorgenommen. Der Kontakt mit der MGBahn und der Schule in Fiesch ist gut und lösungsorientiert. Das bestätigt auch MGBahn-Mediensprecher Christoph Andereggen: «Wir verstehen die Sorgen der Eltern sehr gut und stehen unter anderem. deshalb im regelmässigen Austausch mit Schule und Gemeinde. Uns ist bewusst, wie wichtig die Pünktlichkeit gerade bei Schulbeginn ist und werden das aufmerksam beobachten. Die Pünktlichkeit auf dem Abschnitt ist im Vergleich mit anderen bereits heute hoch. Zudem liegen die meisten Verbindungen, die die Schülerinnen und Schüler betreffen, ausserhalb der touristischen Hauptreisezeiten.»
... und «Zückerli» verteilt
Eine der Begleitpersonen, die an diesem Abend den Vertrag unterschreibt, ist Peter Burgener. Er ist mehrfacher Grossvater, die Lagger Kinder kennen ihn gut, er wohnt wie die meisten von ihnen oberhalb der Kantonsstrasse. Burgener sieht keine Schwierigkeiten bei der Begleitung der Kinder. Er habe zugesagt, weil sich zu wenig jüngere als Begleitpersonen gemeldet haben. Sobald sich das ändere, werde er seinen Platz freigeben, erzählt er.
Seine Schwiegertochter, Jasmine Burgener, ist froh, dass die Schulkinder bis zur zweiten Klasse von einer erwachsenen Person begleitet werden. Da auch die älteren Kinder in Fiesch zur Schule gehen, befürchtet sie, dass die jüngeren die älteren nachahmen und die Sicherheitsregeln beim Überqueren der Kantonsstrasse oder beim Ein- und Aussteigen in den Zug vergessen könnten.
Für die Lagger Schulkinder beginnt ein neues Abenteuer. Und ein «Zückerli» gibt es obendrein: Das kostenlose Streckenabo der Gemeinde ist auch in der Freizeit gültig – in Fiesch gibt es ein Schwimmbad ...
Vom Goms ins Mattertal
Was zwischen Lax und Fiesch in diesem Jahr startet, gibt es in einem anderen Tal im Wallis seit 2013. Kurz vor den Sommerferien besuche ich die Pedibus-Zuglinie zwischen Randa und Täsch im Mattertal, die von der Gemeinde Randa organisiert wird.
Wer die Strecke kennt, wird es bestätigen: Die Fahrt vom Goms ins Mattertal ist eine Reise wert: Kultur- und Naturlandschaften, Sicht auf die Berge und immer wieder urchige, von der Sonne verbrannte Lärchenholz-Stadel und Wohnhäuser, stellenweise ruckelnd unterwegs mit Zahnradantrieb und schwindelerregendem Ausblick in zerklüftete Täler.
Beim Bahnhof Randa erwartet mich Daniela Imboden. Sie wird heute die Kinder zum Zug begleiten. Mein Zug ist mit zwei Minuten Verspätung angekommen. Es könnte sein, dass auch der Folgezug Verspätung hat. Bei mehr als zehn Minuten Verspätung, bestellt Imboden ein Taxi für die Kinder. Heute ist das nicht notwendig.
Eine angenehme Zusammenarbeit ...
Der Zug fährt ein. Erst dann geht Imboden mit den Schülerinnen und Schüler los, von der Mehrzweckhalle über die Strasse und die Treppe hinunter zum Bahnhof. Imboden zeigt ein Rollband, dass beim Treffpunkt bei der Mehrzweckhalle über die Zufahrt gespannt werden kann. An manchen Tagen warten 40 Kinder hinter dem gespannten Band, bis der Zug einfährt.
Der Bahnhof Randa soll 2027 umgebaut werden. Denn er ist gefährlich für die Kinder, weil der Zugang zum Gleis 2 nur durch Überqueren von Gleis 1 möglich ist. Da die MGBahn einspurig fährt, halten zwei Züge gleichzeitig. Bei der Rückfahrt von Täsch steigen die Kinder deshalb an der Zugspitze ein. So können sie in Randa das Geleise hinter dem stehenden Zug auf Gleis 1 überqueren.
Christoph Andereggen von der MGBahn freut sich über die angenehme und konstruktive Zusammenarbeit mit der Gemeinde und den Schulen. Anfang Schuljahr besuche jeweils ein Zugbegleiter oder eine Zugbegleiterin die Schulregion Zermatt-Täsch-Randa für eine Schulung. Dabei werden Sicherheitstipps über das Zugfahren gegeben, insbesondere für die anspruchsvolle Ein- und Ausstiegssituation in Randa. Andereggen teilt mit, dass das Lok- und Zugpersonal für die Transporte der Schulkinder sensibilisiert sei und bei Bedarf unterstütze. Während der Tourismus-Hochsaison und der Stosszeiten verkehren die Züge jeweils mit der maximalen Anzahl Wagen.
... und eine treue Seele
Die Schulkinder aus Randa reisen selbständig und werden beim Aussteigen in Täsch von Alzira Maria Da Silva Costa Carvalho in Empfang genommen. Sie ist quasi die treue Seele: Sie begleitet die Schulkinder seit 2013 bis zu viermal am Tag sicher durch das Bahnhofareal Täsch zur Schule. Demgegenüber sind in Randa bis zu 17 Begleitpersonen abwechslungsweise im Einsatz.
Aldo Brantschen von der Gemeinde Randa informiert, dass die MGBahn früher einen Zugteil für die Kinder reserviert habe. Das sei nicht mehr möglich, da die Reservierung für die Strecke Visp-Zermatt gelten würde. Die Schülerinnen und Schüler besetzen den Zug jedoch nur während fünf Minuten auf einer Strecke von vier Kilometern. Die Kindergartenkinder aus Randa werden von einem Taxi nach Täsch gefahren.
Sobald Alvira die Kinder entlässt, rennen sie den Weg hoch zur Schule. Alles hat bestens geklappt. Ich freue mich über die Pedibus-Projekte in Lax und Randa. Die Kinder üben ab Schulbeginn das richtige Verhalten im Verkehr. Es gibt keine bessere Möglichkeit, Kinder für den Strassenverkehr fit zu machen. Der beste Schutz für das Kind heisst üben, üben, üben – zu Beginn in Begleitung einer erwachsenen Person. Das ist Pedibus: Begleitet. Zu Fuss. Zur Schule. Und geht auch mit dem Zug.