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VCS Protestbrief Tempo 30
VCS

Es ist gekommen, wie befürchtet: Der Bundesrat hat mit einer Änderung der Signalisationsverordnung auf die Motion Schilliger reagiert. Was nach geringfügigen Anpassungen klingt, geht am Ziel vorbei und hat weitreichende negative Folgen.

Geht es nach dem Bundesrat, sollen Gemeinden und Kantone in Zukunft auf Hauptstrassen innerorts nicht mehr die zweckmässigste, verhältnismässigste und kostengünstigste Massnahme zum Lärmschutz wählen können. Statt also den Autoverkehr unkompliziert dank Tempo 30 leiser zu machen, müssten sie neu lärmarme Beläge einbauen.

Das hätte zahlreiche unerwünschte Folgen. Die Gemeinden und Kantone würden an Autonomie verlieren, Aufwand und Kosten wären höher und es gäbe mehr Baustellen. Zudem würde die Bevölkerung nicht mehr von allen weiteren Vorteilen von Tempo 30 profitieren, wie mehr Sicherheit und mehr Lebensqualität.

Ziel nicht erreicht,... 

Und all dies geschieht weder aus einem triftigen Grund noch aus einer Dringlichkeit heraus. Im Gegenteil: die momentane Handhabung hat sich bewährt. Die Erfahrungen und die vorliegenden Forschungsberichte zeigen, dass die Gemeinden und Kantone sehr verantwortungsvoll und im Interesse der Bevölkerung handeln, wenn sie Tempobeschränkungen auf verkehrsorientierten Strassen einführen. Und von einer flächendeckenden Einführung von Tempo 30, wie sie die Autolobby fürchtet, sind wir in der Schweiz weit entfernt.

Was also will der Bundesrat mit den Anpassungen eigentlich erreichen? Nationalrat und TCS-Verwaltungsrat Peter Schilliger, der die Verordnungsänderung mit einer Motion angestossen hatte, forderte die Einhaltung der sogenannten Strassenhierarchie. Dem trägt der Einbau von lärmarmen Belägen allerdings kaum Rechnung. Auf eine Anfrage von Michael Töngi, Nationalrat und VCS-Vorstandsmitglied, konnte der Bundesrat kein einziges Beispiel nennen, bei dem sich die Tempo 30 negativ auf die Strassenhierarchie ausgewirkt hat.

Im Gegenteil, der Bundesrat anerkennt in seinem Erläuterungsbericht, dass Tempo 30 erfolgreich zur Verbesserung des Verkehrsflusses eingesetzt wird. Dies stützen auch Forschung und Rechtsprechung. So erklärte das Bundesgericht die Herabsetzung der Geschwindigkeit auf der Ortsdurchfahrt durch Münsingen (BE) als zulässig, weil die Leistung und der Verkehrsablauf bei grosser Verkehrsbelastung verbessert werden. Das stärkt die Hierarchie des Strassennetzes.

Werden überall, wo es der Lärmschutz nötig macht, lärmarme Beläge eingebaut, gibt es zahllose Baustellen. Dazu kommt, dass diese Beläge weniger robust als herkömmliche Beläge sind und deshalb viel häufiger ersetzt werden müssen. In der Gesamtbetrachtung würde die Priorisierung von lärmarmen Belägen die Strassenhierarchie durch Baustellen und dadurch verursachte Staus schwächen, statt sie zu stärken. Dabei bleibt offen, in wie vielen Fällen die lärmarmen Beläge ausreichen würden, um die Lärmgrenzwerte einzuhalten. Dass nach deren Einbau trotzdem noch Tempo 30 notwendig wäre, ist anzunehmen. In der Stadt Genf beispielsweise sind 90 Prozent der Strassen mit lärmreduzierenden Belägen immer noch zu laut.

... aber Chancen vergeben

Tempo 30 ist bekanntermassen viel mehr als nur guter Lärmschutz. Mit den vorgeschlagenen Regelungen setzt sich Bundesrat Rösti über die strategischen Ziele seines Bundesamtes für Strassen ASTRA hinweg. Das ASTRA hat als Ziel definiert, bis 2030 die Zahl der Verkehrstoten auf maximal 100 pro Jahr zu reduzieren, beim Fuss- und Veloverkehr auf maximal 25. Im Jahr 2024 starben auf Schweizer Strassen 20 Velofahrer*innen, 25 E-Bike-Fahrer*innen, 3 Menschen auf fahrzeugähnlichen Geräten und 48 Fussgänger*innen. Mit Tempo 30 statt Tempo 50 können mindestens 38 Prozent der schweren und tödlichen Unfälle verhindert werden.

Auch andere Ziele, wie die Umsetzung des Veloweggesetzes oder netto null bis 2050, profitieren indirekt von mehr Tempo 30. Ein sicheres, durchgehendes Velowegnetz, wie es drei Viertel der Stimmbevölkerung mit der Annahme des Bundesbeschlusses Velo gefordert hatten, ist nur realistisch, wenn auf Hauptstrassen teils Tempo 30 gilt. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen mehr Menschen zu Fuss und mit dem Velo unterwegs sein. Gerade in Städten motivieren tiefere Tempos die Menschen dazu, zu Fuss und mit dem Velo unterwegs zu sein.