Netto-Null-Ambition
Die Schweiz hat sich verpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2030 zu halbieren und bis spätestens 2050 netto null CO₂ zu erreichen. Die Zwischenbilanz fällt ebenso ernüchternd aus wie ein Blick in die Zukunft.
Die Schweizer Klimapolitik kam stets schleppend voran und so dürfte es vorderhand bleiben. Statt einer CO₂-Abgabe auf Benzin und Diesel will der Bundesrat ein Emissionshandelsystem einführen, das dereinst auch die Abgabe auf Heizöl und Erdgas ersetzen könnte.
Der Emissionshandel kann mit der Börse verglichen werden: Für jede Tonne CO₂ wird ein Zertifikat ausgegeben. Unternehmen müssen so viele Zertifikate vorweisen, wie sie CO₂ ausstossen. Wer weniger emittiert, kann überschüssige Zertifikate verkaufen; wer mehr verursacht, muss welche kaufen. Der Preis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Konsequent angewendet, kann der Emissionshandel Wirkung entfalten. Doch der Bundesrat möchte eine Preisobergrenze für CO₂-Zertifikate festlegen, was in einer sehr inkonsequenten Anwendung des Instruments mündete. Das Ansinnen ist derzeit in der Vernehmlassung.
Der VCS stellt sich nicht kategorisch gegen einen Emissionshandel, kritisiert aber den ambitionsfreien Fahrplan des Bundesrats scharf. Gemäss Martin Winder, Bereichsleiter Verkehrspolitik und Kampagnen, werde es praktisch unmöglich, das Netto-Null-Ziel zu erreichen. «Es leuchtet nicht ein, weswegen Brennstoffe wie Heizöl und Erdgas mit maximal 120 Franken pro Tonne CO₂ belasten werden, während der Verkehr allerhöchstens 20 Franken pro Tonne beisteuern soll.» Pro Liter Heizöl fielen so etwa 32 Rappen an – je Liter Benzin rund 5 Rappen.
Der lange Arm der Erdöllobby
Die Schweizer Klimapolitik ist seit jeher von Verzögerungen und Umgehungen geprägt. Um eine echte CO₂-Abgabe auf Treibstoffe zu verhindern, hat die damalige Erdölvereinigung (heute Avenergy) zusammen mit dem Gewerbeverband, dem Strassenverkehrsverband und Economiesuisse um die Jahrtausendwende den «Klimarappen» initiiert.
Die Bürgerlichen haben damit jahrelang jede Diskussion über eine CO₂-Abgabe auf Benzin und Diesel abgewürgt. Und selbst als der Klimarappen 2012 auslief, wusste die Erdöl-, Auto und Wirtschaftslobby eine Lenkungsabgabe zu verhindern.
Der Durchbruch schien erst 2021 greifbar, als sich das Parlament zu einem von Kompromissen geprägten CO₂-Gesetz durchrang. Doch selbst diese Vorlage scheiterte an der Urne. Wiederum aufgrund des Widerstands der Erdöllobby und derer Adlaten im Bundeshaus.
VCS-Mitarbeiter* innen haben ihre persönlichen Wünsche für eine bessere Klimazukunft aufgeschrieben.
Bald mit roter Laterne?
Die EU hat mit dem «Fit-for-55»-Paket verbindliche Ziele beschlossen: Bis 2030 sollen die Emissionen EU-weit um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Ein breiter Emissionshandel und klare Vorgaben für Sektoren wie Verkehr und Gebäude sind zentrale Elemente.
Die Schweiz verfolgt zwar ähnliche Reduktionsziele, zaudert aber bei der Umsetzung. Besonders augenfällig bleibt, dass die Abgabe auf Treibstoffe fehlt. Dabei verursacht der Verkehrsbereich in der Schweiz rund ein Drittel der Emissionen. «Die Schweiz müsste endlich die bestehende CO₂-Abgabe auf Treibstoffe ausweiten», sagt Winder. Die Halbierung der CO₂-Emissionen bis 2030 werde gleichsam zum Prüfstein der Glaubwürdigkeit. «Ein Emissionshandel für die Mobilität kann ein wirksames Instrument sein, um die Klimaziele zu erreichen. Allerdings nur, wenn keine Preisobergrenze festgelegt wird.»
Die Schweiz darf ab 2050 nur noch so viele Treibhausgase verursachen, wie gleichzeitig wieder aus der Atmosphäre entfernt werden können. Damit soll die Klimaerwärmung im Einklang mit dem Pariser Abkommen auf deutlich unter 2 Grad Celsius, möglichst auf 1,5 Grad, begrenzt werden. Das Netto-Null-Ziel bedeutet nicht, dass gar keine Emissionen mehr entstehen dürfen. Unvermeidbare Restemissionen – etwa aus Landwirtschaft oder Industrie – sollen durch Massnahmen wie Aufforstung, CO₂-Speicherung oder Investitionen in Klimaprojekte ausgeglichen werden.