
Wie Sprache unser Denken und Handeln beeinflusst
Interview mit Sprachwissenschaftler Hugo Caviola
Welche Rolle das Auto spielt, warum es einen Unterschied macht, ob wir von Parkplätzen oder Autostellflächen sprechen, und wie wir mit Sprachzweifel am besten umgehen, weiss Hugo Caviola. Er ist Sprachwissenschaftler und leitet das Projekt «Sprachkompass».
VCS Magazin: Autometaphern sind in unserer Sprache allgegenwärtig. Welchen Einfluss hat das auf unser Denken und Handeln?
Hugo Caviola: Wir geben Gas beim Arbeiten, stehen beim Geldausgeben auf die Bremse und geraten in einer Prüfung ins Schleudern. Wir brauchen Autometaphern in vielen Zusammenhängen, die nichts mit dem Auto zu tun haben. Warum tun wir das? Weil wir wissen, dass diese Metaphern von allen verstanden werden. Aber wir setzen uns damit gedanklich auch immer ans Steuer. Das Auto wird zu einem Kollektivsymbol. Dieses gibt uns zu verstehen, dass Autofahren etwas Selbstverständliches ist, das immer als Vergleich zur Verfügung steht.
Sie und Ihr Team untersuchen, wie Sprache eine Verkehrswende unterstützen kann. In Städten bespielsweise wollen wir den Raum neu verteilen. Wie kann uns die Sprache dabei helfen?
Der Flächenverbrauch muss mehr ins Bewusstsein rücken. Die Velofahrenden, die Fussgängerinnen und Fussgänger brauchen wenig, Autos mehr Fläche. Beschleunigt man diese, wird ihr Flächenverbrauch noch grösser. Denkt man auch noch an den Lärm, steigt ihr Raumanspruch noch weiter. In einer durchschnittlichen mitteleuropäischen Stadt besitzt etwa ein Drittel der Menschen ein Auto und zwei Drittel besitzen keines.
Wenn wir von Flächengerechtigkeit sprechen, wollen wir eine Stadt, in der die Einwohnerinnen und Einwohner in einem gerechten Verhältnis am öffentlichen Raum teilhaben können. Und damit hat man ein gutes Argument, Massnahmen zu ergreifen, die das Auto zurücknehmen und den anderen mehr Raum geben. Wörter wie Flächeneffizienz oder eben Flächengerechtigkeit rücken dies ins Bewusstsein. Diese distributive Gerechtigkeit ist etwas, das alle Menschen verstehen können. Solche Wörter sind gute Hebel, um die Verkehrswende voranzubringen.

Viele Wörter haben einen klaren Deutungsrahmen, einen Frame. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Ein Frame umfasst die gedanklichen Vorstellungen, die sich einstellen, wenn wir ein Wort hören. Sie basieren auf unserer gesamten Spracherfahrung. Die Wörter Strasse und Verkehr beispielsweise sind sehr oft mit Autoverkehr gekoppelt. Bei einer Formulierung wie «Strasse gesperrt» neigen viele dazu zu verstehen, dass die Strasse für Autos gesperrt ist. Wir denken spontan: Strasse gleich Autostrasse. Dass diese gesperrte Strasse aber für Fussgängerinnen und Fussgänger offen ist, entgeht unserer Aufmerksamkeit häufig. Eine gesperrte Autostrasse ist meist ein geöffneter Fussgängerraum.
Es gibt den Begriff der «Motonormativität» des Briten Ian Walker, der besagt, dass wir in unseren Köpfen das Auto als Grundmassstab eingerichtet haben. Das hat viele Folgen. Wir ziehen unseren Kindern Warnwesten an, damit sie in dieser gefährlichen Welt überleben, statt diese Welt weniger gefährlich zu machen. Diese kognitive Verzerrung führt uns dazu, dem Auto zuerst Recht zu geben.
Bleiben wir noch kurz beim Wort Strasse. Wir sprechen von Strassenlärm, meinen aber eigentlich Autolärm …
Beim Wort Strassenlärm wird ausgeblendet, dass auf den Strassen auch Menschen mit dem Velo oder zu Fuss unterwegs sind, die keinen Lärm machen. Sie werden im Wort Strasse nicht mitgedacht. Das ist ein sprachlicher Hinderungsgrund, warum die Verkehrswende schwer vorankommt. Wenn Strasse als Autorevier verstanden wird, ist es schwierig, Ansätze wie Wohnstrassen durchzusetzen. Werden Strassen möbliert, platziert man Pflanzen und richtet sie für Menschen ein, die zu Fuss unterwegs sind, sind sie im konventionellen Verständnis keine richtigen Strassen mehr.
Das war nicht immer so, wie beispielsweise die Wörter Strassentheater, Strassenverkäufer oder Strassenbekanntschaft zeigen.
Die Begriffe sind noch gespeichert aus Zeiten, in denen die Strasse multifunktional war, ein Raum für alle. Der Verkehrsforscher Hermann Knoflacher einmal hat gesagt, dass die Querbewegungen auf der städtischen Strasse vor dem Auto ebenso häufig waren wie die Längsbewegungen. Das erlebt man bei Wohnstrassen heute wieder. Der Strassenraum wird dabei zu einem sozialen Raum, zu einer Verlängerung des Wohnzimmers.
Wie kann es denn gelingen, die Bedeutung der Strasse zu verändern?
Sie kommt durch den ständigen Sprachgebrauch zustande. Sie ändert sich, indem neue Wörter entstehen oder bestehende Wörter nicht mehr im selben Sinn gebraucht werden. Man kann zum Beispiel von einer Velostrasse und Wohnstrasse sprechen und rückt damit das Wort Strasse ein wenig von der Bedeutung der reinen Autodomäne weg.

Was ist sinnvoller? Einem Wort wie Strasse eine neue Bedeutung zu geben oder ein alternatives Wort zu finden?
Historisch hat sich die Sprache ständig verändert. Gewisse Wörter sterben aus und neue entstehen, wie zum Beispiel das Wort Aufenthaltsqualität, das die Interessen der Zufussgehenden ausdrückt. Oder die Flächengerechtigkeit, ein kompliziertes Kompositum, das aber Interessen ausdrückt, die vorher sprachlich nicht gefasst waren. Es werden auch immer wieder bestehende Wörter semantisch umgeprägt. Schwul war vor 30 Jahren nur Schimpfwort. Dann haben die Schwulen begonnen, sich selbst so zu nennen. Das Wort positiv zu gebrauchen, färbt auf dessen Semantik ab. Mit der Zeit ist schwul nicht mehr negativ, sondern ein neutrales Wort. Eine solche Umprägung kann auch mit den Wörtern Strasse und Verkehr geschehen, wenn sie nicht mehr so stark auf Autos bezogen werden.
Es gibt auch emotional aufgeladene Wörter, Parkplatz zum Beispiel. Die Politik versucht vor allem in den Städten, Parkplätze zu reduzieren, abzubauen. Bei den Automobilistinnen und Automobilisten sind die Interessen umgekehrt. Unsere These ist, dass wir das Auto allzu oft ohne Parkplatz denken. In der Werbung werden Autos nie auf einem Parkplatz gezeigt, sondern oft in wilder Landschaft oder in flotter Fahrt. Dass an jedem Auto ein Parkplatz «klebt», wird ausgeblendet.
Also müssten wir von Stehzeugen sprechen?
Wir übersehen, dass Fahrzeuge etwa 90 Prozent ihrer Existenz Stehzeuge sind. Damit leben müssen wir aber trotzdem. Mit dem Wort Fahrzeug beleuchten wir das Auto als Mobilitätsermöglichungsgerät, aber nicht als etwas, das unsere Allmend verstellt. Hinzu kommt das Wort Platz in Parkplatz. Plätze gibt es in unserem Leben viele, es gibt Stehplätze und Sitzplätze, Schlafplätze, Arbeitsund Ausbildungsplätze. Etwas, das Platz heisst, begegnet uns fast wie ein Recht, das uns als Mensch zusteht. Dieses Recht dehnt sich nun wie selbstverständlich auf den Parkplatz aus. Das Wort suggeriert, dass Parkplätze etwas sind, das es einfach geben muss. Würden wir sie Autostellflächen oder gar Autolagerflächen nennen, würden wir diesen Anspruch stark zurücknehmen. Dadurch würden diese zwölf Quadratmeter als kostenpflichtige Fläche beleuchtet. Anders als einen Platz kann man eine Fläche leicht quantifizieren und mit dem politischen Anspruch der Flächengerechtigkeit verbinden.
Lagern hat also ein anderes Framing als Parkieren?
Ja, es macht mir bewusst, dass das Auto eine Lagerfläche braucht. Es ist ein privates Gut, das wir auf der Allmend lagern. Dann wird sofort klar: Das hat einen Preis, den man zahlen muss. Wir verscherbeln die Allmend zu Spottpreisen, indem wir so billige Autolagerflächen anbieten.
Was kann ich tun, wenn ich spüre, dass ein Wort nicht meine Interessen widerspiegelt?
Wenn ich das erkenne, habe ich schon einen wichtigen Schritt gemacht. Ich werde nicht mehr von der Sprache «benutzt», sondern ich benutze sie bewusst. Also bin ich nicht mehr das Opfer von Formulierungen, die meinen Interessen widersprechen. Wenn ich mir bewusst bin, dass ich ein Wort mit Vorbehalt verwende, kann ich zum Beispiel «sogenannt» davorsetzen und damit signalisieren, dass ich mit dem Wort nicht zufrieden bin, aber kein besseres habe. So könnte ich zum Beispiel von sogenannten Panoramastrassen oder Hochleistungsstrassen sprechen. Am besten ist natürlich, man findet ein Wort, das den eigenen Interessen besser entspricht, wie zum Beispiel Autostellfläche statt Parkplatz.
Welches Wort ärgert Sie persönlich am meisten?
Das wird Sie überraschen. Es sind der Gubristtunnel, das Limmattaler Kreuz und das Brüttiseller Kreuz. Ich war noch nie am Brüttiseller Kreuz. Aber durch das ständige Hören in den sogenannten Verkehrsinfos am Radio haben diese Wörter ein Gewicht und tragen zur Motonormativität bei. Sie geben uns zu verstehen, dass die Staus und das automobile Vorankommen eine hohe Bedeutung haben, etwa ähnlich hoch wie der Wetterbericht. Dabei betreffen Staumeldungen nur eine partikuläre Gruppe. Mir stösst das auf.
Hugo Caviola war Gast in der VCS-Webinar-Reihe. Hier finden Sie die Aufzeichnung.