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Yves Francois axesslab
zVg

Interview: Camille Marion

VCS-Magazin: Yves François, wenn wir überzeugen wollen, schärfen wir unsere Argumente. Sie sagen, das bringt nichts, weshalb?

Yves François: Wenn eine Person versucht, uns mit Argumenten zu überzeugen, erleben wir das unbewusst als einen Versuch, uns ein Verhalten aufzuzwingen. Dann leisten wir Widerstand, weil wir uns nicht gerne etwas vorschreiben lassen. Telefonmarketing ist ein gutes Beispiel: Wir widersetzen uns sofort, noch bevor die Person am anderen Ende der Leitung dazu kommt, uns zu erläutern, weshalb sie anruft. Der Menschen hassen es, wenn man ihnen sagt, was sie zu tun haben, besonders wenn es nicht mit dem übereinstimmt, was sie tun oder bisher getan haben. Die Strategie, die bewussten Vorstellungen und Motivationen der Leute ändern zu wollen, hat nur sehr bescheidene oder gar kontraproduktive Auswirkungen auf eine tatsächliche Verhaltensänderung.

Wenn Argumente nicht funktionieren, muss man dann daraus ableiten, dass der Mensch nicht rational ist?

Ja, das ist so, und um zu präzisieren, würde ich sagen, dass das menschliche Gehirn offener für Neues als für Argumente ist. Eine neue Information kann bei uns dann eine Wirkung entfalten, wenn wir sie erhalten, ohne dass sie mit Ratschlägen oder Aufforderungen verbunden ist. Wir glauben, dass unsere Entscheidungen auf rationalen Elementen beruhen, doch der Mensch ist eher rationalisierend als rational. Das heisst, er findet immer Gründe, um sein Verhalten zu rechtfertigen. Mit dieser Rationalisierung kann die kognitive Dissonanz überwunden werden, das heisst die Nicht-Übereinstimmung zwischen unseren Gedanken und unserem Verhalten.

Und wie also kann man nun Menschen dazu bringen, ihr Verhalten zu ändern?

Man muss etwas ausholen und sich fragen, welche Faktoren diese Veränderung begünstigen. Dabei ist der Kontext von zentraler Bedeutung: Er muss für das erwünschte Verhalten förderlich sein. Die Prozesse der Entscheidfindung und der Verhaltensänderung reagieren sehr sensibel auf subtile Zeichen aus unserem Umfeld. Als Beispiel können die Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit zur Bekämpfung des Bewegungsmangels dienen. Statt immer wieder die guten Gründe für mehr Bewegung im Alltag zu wiederholen, arbeitet man besser am Kontext und empfiehlt den Architektinnen und Architekten, den Raum so zu denken, dass Treppen sichtbarer sind als Liftschächte. Architektur und Stadtplanung sind geniale Mittel, um Verhaltensweisen zu verstehen und zu beeinflussen.

Welche Rolle spielen die Menschen um uns herum für unser eigenes Verhalten? 

Wir beobachten und reproduzieren die an einem bestimmten Ort gezeigten Verhaltensweisen. Insbesondere achten wir darauf, was die Mehrheit der Leute tut. Nehmen wir zum Beispiel eine Gruppe, die an einem Fussgängerstreifen darauf wartet, dass die Ampel grün wird. Wenn eine Person beschliesst, trotz Rot die Strasse zu überqueren, hat das keinen grossen Einfluss. Wenn es eine zweite Person tut, beginnen wir zu zögern. Wenn drei Personen loslaufen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihnen die übrigen folgen. Das ist der so genannte normative Effekt.

Wir versuchen aber trotzdem, uns von den anderen zu unterscheiden, oder nicht? 

Wir glauben gerne, dass wir einen gewissen freien Willen haben und unsere Entscheidungen selbst treffen, aber soziale Normen wie das Umfeld beeinflussen uns viel stärker. Wir ändern unsere Meinungen und unser Verhalten unter dem impliziten Gruppendruck. Wenn man ein bestimmtes Verhalten provozieren will, besteht eine wirksame Strategie darin, es sichtbar zu machen und zu betonen, dass die Mehrheit der Leute es bereits angenommen hat. So kann natürlich schon das Vorhandensein von Radwegen das Velofahren fördern. Wenn die Radwege aber auch wirklich benutzt werden, verstärkt der normative Effekt die Nutzung des Velos weiter.

Ist die Meinung einer Person, die ich schätze, weniger wichtig als die sozialen Normen? 

Es gibt Personen, deren Einfluss bedeutsam ist – Ihr Partner, Ihre Chefin, Ihre Kinder, eine Polizistin auf der Strasse, ein Kellner im Restaurant. Das kann mit dem Kontext oder mit der Wahrnehmung der Legitimität einer Person zusammenhängen. Wenn Roger Federer sagt, dass er eine bestimmte Marke von Tennisschlägern bevorzugt, so ist seine Meinung bedeutsam. Wenn er eine Schokoladenmarke einer anderen vorzieht, ist das weniger der Fall. Im Übrigen spielen bei diesem Urteil auch kognitive Verzerrungen eine Rolle. Wenn ich in etwa die gleiche Körperhaltung wie Sie einnehme oder gleiche Kleider trage, werden Sie mir eher glauben.

Auf der Grundlage Ihrer Erkenntnisse haben Sie die Agentur aXesslab mitgegründet. Was sind Ihre Tätigkeitsbereiche? 

Ich habe aXesslab 2008 zusammen mit Jeremy Grivel, einem Neurowissenschaftler, gegründet. Die Agentur ist spezialisiert auf Verhaltenswissenschaften und nutzt wissenschaftliche Literatur aus Psychologie, Sozialpsychologie und Neurowissenschaften. Wir arbeiten sowohl mit Privaten als auch mit der öffentlichen Hand – Unternehmen, Gemeinden oder Kantone –, die Strategien zur Verhaltensänderung umsetzen möchten. Viele Anfragen betreffen den ökologischen Wandel, aber wir befassen uns auch mit Gruppendynamik oder mit der Gestaltung von Räumen, um ein bestimmtes Verhalten zu fördern.

Haben Sie Beispiele von Projekten, die im Bereich der Mobilität durchgeführt wurden?

Wir haben mit Mobilidée, einem auf Mobilität spezialisierten Büro, zusammengearbeitet, um das Personal am Flughafen Genf zu ermuntern, Fahrgemeinschaften zu bilden. In diesem konkreten Fall war uns klar, dass das ökologische Argument nicht im Vordergrund stehen würde. Wir gingen von der Tatsache aus, dass das Prinzip der Fahrgemeinschaften a priori von allen akzeptiert ist. Wir haben uns am Eingang des Personalparkplatzes postiert und jeder ankommenden Person eine einfache Frage gestellt: «Viele Leute finden Fahrgemeinschaften eine gute Idee, Sie auch?» Die meisten stimmten dem zu. Daraufhin fragten wir sie, ob wir an ihrem Fahrzeug einen Luftballon anbringen durften, was von fast allen akzeptiert wurde. Uns ermöglichte das, die Meinung sichtbar zu machen und auf den normativen Effekt zu setzen.

In einem zweiten Schritt haben wir denselben Personen vorgeschlagen, an der Präsentation einer vom Flughafen entwickelten Software für Fahrgemeinschaften teilzunehmen. Da die Personen bereits bei den vorherigen Schritten Ja gesagt hatten, hatten wir sie für das Unterfangen schon fast gewonnen. Das Ergebnis spricht für sich: Wir konnten die Anzahl der auf der Mitfahrplattform registrierten Personen um das Zehnfache steigern. Bei diesem Beispiel nutzten wir den normativen Effekt, um ein bestimmtes Verhalten zu fördern. Wir hätten die Wirksamkeit noch steigern können, wenn wir noch mehr am Kontext gearbeitet hätten, zum Beispiel durch die Kennzeichnung reservierter Parkplätze für Fahrgemeinschaften.

Und wo beginnt die Manipulation?

Alles manipuliert uns. Ob wir wollen oder nicht, beeinflusst das Umfeld, in dem wir uns bewegen, unbewusst unser Verhalten. Die Menschen um uns herum beeinflussen unbewusst unser Verhalten. Wichtig ist, uns zu fragen, weshalb wir das tun. Wenn wir diese Mechanismen für eine Sache nutzen, die uns richtig scheint – etwa den Schutz lebensfreundlicher Bedingungen –, sind wir im Einklang mit unserem Gewissen. Unserem Planeten geht es so schlecht. Wir nutzen nur das wissenschaftliche (und öffentliche) Wissen darüber, wie Menschen funktionieren. Weshalb sollten wir das nicht tun?