Klimaschutz: Schweiz ist ungenügend
Die Schweiz hat das Pariser Klimaübereinkommens mitunterzeichnet. Zehn Jahre danach fällt die Bilanz ernüchternd aus. Gerade beim Verkehr besteht nach wie vor grosser Handlungsbedarf.
Von Marcel Hänggi
Ende 2015 verabschiedeten die Uno-Mitgliedstaaten das Pariser Klimaübereinkommen. Sie beschlossen, dass die Welt an der Klimaerhitzung nicht zugrundegehen soll. Aber natürlich rettet man die Welt nicht, indem man ihre Rettung beschliesst: Man muss das Beschlossene umsetzen. Und diesbezüglich sieht es nicht gut aus.
Wo steht die Schweiz? Der Climate Action Tracker bewertet die Klimapolitik von vierzig Staaten auf wissenschaftlicher Grundlage. Die Note für die Schweiz: «ungenügend ». Würden alle Staaten handeln, wie die Schweiz es tut (respektive zu tun beabsichtigt), erwärmte sich die Welt um zwei bis drei Grad. Dass die meisten anderen Staaten auch nicht besser sind, ist da ein schwacher Trost. Auf Kurs, das in Paris Beschlossene umzusetzen, ist noch kein einziges Land; einige sind immerhin «fast genügend» – darunter als einziges europäisches Land Norwegen.
Schweiz hätte Führungsrolle
Das Pariser Übereinkommen will die globale Erhitzung auf «deutlich unter zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau» begrenzen, wobei die Staaten «Anstrengungen unternehmen » müssen, das 1,5-Grad-Limit einzuhalten. Auf dieses Ziel sind auch die Finanzmittelflüsse auszurichten. Um das globale Ziel zu erreichen, legt jeder Staat sein nationales Ziel fest, wobei die «entwickelten Länder die Führung übernehmen» sollen. Weil die bisherigen nationalen Ziele bei weitem nicht ausreichen, müssen sie alle fünf Jahre verschärft werden – das letzte Update war im Februar fällig. Die «entwickelten» Länder müssen die anderen bei ihren Anstrengungen finanziell unterstützen.
Die Schweiz wird dem Übereinkommen in keinem dieser Punkte gerecht. Unser Land hat sich verpflichtet, seine Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent und bis 2030 um 50 Prozent zu senken (immer gegenüber dem Stand von 1990), wobei es für das 2030-Ziel grosszügig auf so genannte Kompensationen im Ausland zurückgreifen will.
Diese Reduktionsziele gab sich die Schweiz, als sie noch davon ausging, in Paris würde ein Ziel von maximal zwei Grad Erwärmung beschlossen, und dass die Schweiz als reiches Land mehr leisten müsste, ist im nationalen Ziel nicht reflektiert. Im jüngsten Update des nationalen Klimaziels steht zwar, dass dieses nun auf das 1,5-Grad-Ziel angepasst sei. Das bleibt indes eine leere Behauptung. Dass weit ambitioniertere Emissionsreduktionen nötig wären, hat der Bundesrat schon 2009 selbst festgestellt. Und selbst das ungenügende Ziel von minus 20 Prozent bis 2020 hat die Schweiz verfehlt – knapp zwar, aber trotz Lockdown und warmem Winter.
Luft- und Landverkehr als Sorgenkinder
Dabei zeichnen die offiziellen Zahlen noch ein zu gutes Bild. Denn sie berücksichtigen den internationalen Flugverkehr nicht. Schweizerinnen und Schweizer sind Rekord-Vielflieger; die Fliegerei ist für mehr als ein Viertel der Klimawirkung aller Schweizer Emissionen verantwortlich. Berücksichtigt man sie, so emittierte die Schweiz 2019 nicht weniger, sondern mehr als 1990. Erst im Pandemiejahr 2020 lagen die Emissionen inklusive Luftfahrt tiefer. Sie dürften heute wieder über dem Wert von 1990 liegen (die Zahlen von 2023 und 2024 liegen noch nicht vor).
Ebenso wenig bilden die offiziellen Zahlen ab, wie viele Emissionen der Schweizer Konsum im Ausland verursacht. Die konsumbasierten Treibhausgasemissionen sind schwer zu schätzen. Berücksichtigte man sie, lägen die Schweizer Emissionen aber mehr als doppelt so hoch wie offiziell ausgewiesen und höher als 1990 – sowohl landesweit wie pro Kopf.
Ein Sorgenkind der Schweizer Klimapolitik ist nebst dem Luft- auch der Landverkehr. Bis 2008 sind seine Emissionen gegenüber 1990 nicht gesunken, sondern haben zugenommen. Seit 2009 fallen sie; erst seit dem Pandemiejahr 2020 liegen sie geringfügig tiefer als 1990. Zwar emittieren Autos pro gefahrenen Kilometer heute im Durchschnitt deutlich weniger als 1990 – vor allem, weil es mehr Elektroautos gibt. Aber dieser Effekt verpufft, weil immer mehr gefahren wird. Immerhin hat das Stimmvolk letzten November den geplanten Ausbau der Autobahnen abgelehnt. Dass dieser Ausbau – trotz Elektrifizierung – zu mehr CO2-Emissionen geführt hätte, wussten Bundesrat und Parlament: Es stand in der bundesrätlichen Botschaft.
Politik zeigt wenig Ehrgeiz
Was schliesslich die Pflicht der reichen Länder angeht, die armen Länder in ihren klimapolitischen Anstrengungen zu unterstützen, so war die Schweiz bisher knausrig und gehörte an der Uno-Klimakonferenz in Baku im vergangenen November zu den Bremserinnen. Nachdem das Parlament im Dezember beschloss, die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit dramatisch zu kürzen, ist kaum zu erwarten, dass die Schweiz auch nur ihre Minimalverpflichtung einhalten wird.
Wie geht es weiter? Anfang 2025 sind zwei neue Klimagesetze in Kraft getreten: Das CO2-Gesetz für die Jahre 2025 bis 2030 erhöht das gemächliche Tempo der Emissionssenkungen nun nicht etwa, sondern verlangsamt es – nachdem ein ambitionierteres Gesetz 2021 an der Urne scheiterte. Das Klimaschutzgesetz (KlG) setzt Ziele für die Jahre nach 2030. Bundesrat und Parlament haben bislang wenig Ehrgeiz gezeigt, diese Ziele auch tatsächlich anzustreben. Das KlG verlangt, dass die Bundesverwaltung ihre Emissionen schon bis 2040 auf netto null senkt, und zwar inklusive vor- und nachgelagerter Emissionen, also inklusive beispielsweise der Emissionen des Verkehrs, der auf den Nationalstrassen rollt. Der Bundesrat hat dazu bis jetzt aber keine Verordnungsbestimmungen erlassen. Und das Gesetz will, wie es das Pariser Übereinkommen fordert, die Finanzmittelflüsse klimaverträglich gestalten. Der Bundesrat hat darauf verzichtet, das zu konkretisieren, und setzt lediglich auf freiwillige Klimatests für Finanzinstitute.
Wider die Menschenrechte
Dank den neuen Klimazielen des KlG konnte die Schweiz im Februar immerhin, wie im Pariser Übereinkommen vorgesehen, ein gegenüber vor fünf Jahren verschärftes Klimaziel vorlegen. In seiner Eingabe an die Uno verweist der Bundesrat beispielsweise darauf, dass die Schweiz mit dem KlG «einen ersten gesetzgeberischen Schritt» unternehme, die Finanzmittelflüsse klimaverträglich auszurichten. Dass er den zweiten Schritt – nämlich die Konkretisierung des ersten Schritts in der Verordnung – gerade nicht unternimmt, schreibt der Bundesrat nicht. Die Eingabe nennt ferner wichtige Grundsätze, die einer Berechnung des fairen Anteils, den ein Land leisten muss, zugrunde liegen «sollten». Sie wendet ebendiese Grundsätze dann aber nicht auf die Schweiz an.
Dabei war genau der zentrale Punkt im Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2024 im Fall «Klimaseniorinnen gegen die Schweiz» fast einstimmig fällte: Die Schweiz müsste ausweisen, wie viel von dem CO2, das weltweit maximal noch ausgestossen werden darf, sie fairerweise für sich beanspruchen kann.
Und da könnte es im März noch einmal spannend werden. Dann verhandelt das Ministerkomitee des Europarats die offizielle Antwort des Bundesrats auf das EGMR-Urteil. Auf den erwähnten zentralen Punkt des Urteils geht diese Antwort gar nicht erst ein. Gut möglich, dass sich das Ministerkomitee mit den faulen Ausreden nicht zufrieden geben wird.
Marcel Hänggi ist freier Journalist und Autor. Er betreibt die Plattform klima-info.ch und jüngst erschien sein Buch «Weil es Recht ist – Vorschläge für eine ökologische Bundesverfassung» im Rotpunktverlag.