
Mit dem Velo zur Arbeit
Zu Fuss zur Schule, mit dem Auto zur Arbeit? 3,7 Millionen Menschen pendeln zu ihrem Arbeitsplatz und das Auto ist nach wie vor das meistgenutzte Verkehrsmittel. Der Trend geht aber in die richtige Richtung.
Die neuesten Zahlen zur Pendlermobilität verheissen nichts Gutes: 50 Prozent setzten 2023 auf das Auto als Hauptverkehrsmittel – wie schon 1990. 31 Prozent nutzen den öffe tlichen Verkehr (ÖV), 8 Prozent fuhren mit dem Velo oder dem E-Bike und 9 Prozent gingen zu Fuss. Die Verteilung auf die verschiedenen Verkehrsmittel hat sich in den letzten gut 30 Jahren kaum verändert. Weil immer mehr Menschen über Kantonsgrenzen und immer weniger innerhalb der Wohngemeinde arbeiten, sind die Wege zudem länger geworden. Das hat einzig beim ÖV zu einer Verschiebung geführt: Mehr Pendlerinnen und Pendler sind mit dem Zug und weniger mit dem Bus und dem Tram unterwegs.
Damit wir die dringend nötige Verkehrswende schaffen, braucht es Verlagerungen – beim Pendeln vom Auto aufs Velo oder auf den öffentlichen Verkehr. Sinkt der Anteil an Menschen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, und steigt dafür der Anteil derjenigen, die dafür das Velo nutzen, spricht man von einer Modalsplitverschiebung.
Eine Pedalumdrehung vorwärts
Ein näherer Blick auf die Pendlerstatistik zeigt, dass solche Verschiebungen des Modalsplits stattfinden – wenn auch in bescheidenem Ausmass. Im Vergleich zu 2019 hat das Auto gegenüber dem Velo und dem ÖV verloren. Einzig in den Kantonen Thurgau (plus 0,5 Prozent) und St. Gallen (plus 1,1 Prozent) stieg der Anteil an Autopendlerinnen und Autopendlern noch an, im Kanton Bern stagnierten die Zahlen.
Ruedi Blumer, Präsident der VCS-Sektion St.Gallen/Appenzell, zieht für das schlechte Abschneiden des Kantons St.Gallen auch die kantonale Politik in die Verantwortung: «Indem der St.Galler Kantonsrat die Erhöhung des Pendlerabzugs für Autofahrende beschloss, der vom Stimmvolk im November äusserst knapp angenommen wurde, stärkte er das Auto als Verkehrsmittel fürs Pendeln.» Handlungsspielraum sieht er dafür bei den Unternehmen: «Mit Mobilitätskonzepten können sie das Pendlerverhalten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter positiv beeinflussen, etwa indem sie Gutscheine für den öffentlichen Verkehr oder geteilte Velos anstatt Gratisparkplätze anbieten.»
Das Velo und der Fussverkehr konnten ihren Anteil fast überall (mit Ausnahme der Kantone Wallis, Thurgau und Solothurn) steigern. Mit über zwei Prozent sind städtische Kantone wie Basel-Stadt oder Genf genauso vertreten wie die Landkantone Uri, Schaffhausen und Obwalden. Dass mehr Menschen mit dem Velo unterwegs sind, belegen auch die Zählstellen, die es inzwischen in vielen Städten gibt. Die Entwicklung zeugt davon, dass die besser werdende Veloinfrastruktur ihre Wirkung entfaltet. Letzteres stützen auch die jüngst veröffentlichten Unfallzahlen aus den Städten Zürich und Bern. Das Unfallrisiko auf dem Velo ist gesunken – bei einer Zunahme des Veloverkehrs.
Es war und ist machbar
Der nach wie vor ungebrochene E-Bike-Boom hilft mit, das Velopendeln mehrheitsfähig zu machen. Bei einer durchschnittlichen Länge pro Weg von 14 Kilometern (ein Hinweg) bietet sich das E-Bike geradezu als Pendlerfahrzeug an. Doch so erfreulich dies klingen mag, so sehr sind diese Verlagerungstendenzen beim Pendelverkehr der letzten vier Jahre (noch) mit Vorsicht zu deuten. Sie liegen immer noch im langjährigen Mittel.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es auch anders geht: 1936 hatte das Velo in der Stadt Basel einen Anteil von 70 Prozent am Gesamtverkehr! Das war einmal? Mitnichten, wie der Blick nach Paris belegt. Dort wurde aus der einstigen Velohölle zwischen 2015 und 2020 eine passable Velostadt: Der – 2015 noch sehr geringe – Anteil an Veloverkehr nahm in dieser Zeit um 60 Prozent zu. Ob Menschen Velo fahren, liegt also auch an den politischen Weichenstellungen und an den geltenden gesellschaftlichen Werten.