Eine Wanderung, vier Seen
Von der Melchsee-Frutt nach Engelberg führt eine wunderschöne Wanderung vorbei an vier Seen, die sich in die Falten der Zentralschweizer Alpen schmiegen. Sie beginnt und endet im Kanton Obwalden, mit einem Abstecher nach Bern und Nidwalden.
Schon aus der Kabine der Seilbahn staunen wir über das Panorama. Im Winter ein Skigebiet, im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel für Familien: Oben erwartet uns die Melchsee-Frutt, die von der Stöckalp her erreichbar ist. Nachdem wir an den wenigen Chalets und Hotels vorbeigegangen sind, erreichen wir den gleichnamigen See. Der Himmel ist trüb, dicke Wolken spiegeln sich im glatten Wasser. Der Melchsee ist weitläufig, von dunklen Weiden umgeben. Wenig später säumt eine kleine Steinkapelle das Ufer.
Die heutige Route folgt der Etappe 3 der Route 88 von SchweizMobil, die entlang von Melchsee, Tannensee, Engstlensee und Trüebsee bis ins Dorf Engelberg führt. Es handelt sich um eine einfache Wanderung, die sich sehr flexibel gestalten lässt – zahlreiche Wege durchziehen die Landschaft und erlauben es, die Route frei zusammenzustellen.
Auf Höhe der Kapelle am See-Ende biegen wir ab in die Weiden und wandern entlang einer imposanten Felswand, wo sich Kletterbegeisterte tummeln. Kaum haben wir den ersten See hinter uns gelassen, ist bereits die nächste Wasserfläche sichtbar, lang gestreckt in einem fast ebenen Tal. Am Tannensee ist das Baden verboten, das Fischen jedoch erlaubt. In regelmässigen Abständen sitzen Angler am Ufer und tauschen ein paar Worte aus.
Jetzt durchqueren wir die höchsten Weiden des Kantons Obwalden, umgeben von Dutzenden Kühen, deren Glocken die Klangkulisse des Tages bilden. Holzhäuser, Schweizerfahnen, ein rauschender Wasserfall, grasende Herden auf sattem, grünem Boden am Fuss der Berge…: Man glaubt gerne, dass Postkarten und Social Media übertreiben, doch hier sieht die Schweiz tatsächlich so aus, wie man sie sich vorstellt.
Nebelspiel
Der Abstieg zum dritten See ist atemberaubend. Aus dem Tal steigt feiner Nebel auf, von unsichtbaren Strömungen getragen. Der vom Grün überwucherte Weg verschwindet in den Schwaden und taucht dann plötzlich wieder im Sonnenlicht auf. Wir überqueren die unsichtbare Kantonsgrenze, bevor wir zum kleinen Berner Weiler Engstlenalp aufsteigen, kurz vor dem gleichnamigen See. Ein Hotel empfängt hier seit dem späten 19. Jahrhundert Gäste – seine rosafarbene Fassade mit historischer Schrift zeugt davon.
Wir betreten das Naturschutzgebiet, das den See umgibt. Ein kurzer Anstieg ist nötig, um seine Oberfläche zu sehen, leicht gekräuselt vom Wind. Der Engstlensee liegt am Fuss des Titlis, dessen 3200 Meter hoher Gipfel heute in Wolken gehüllt ist. Der Weg führt weiter bergauf in Richtung Jochpass, dem anspruchsvolleren Teil der Wanderung. Kurze Pausen geben Luft und erlauben den Blick zurück. Immer wieder verändert das Wolkenspiel die Farbe des Sees: mal tiefdunkel, mal türkisblau.
Ein Pass und ein letzter See
Auf 2200 Metern erreichen wir am Jochpass den Kanton Nidwalden. Einige Schneehaufen trotzen hier noch dem Sommer. Von hier aus beginnt der lange Abstieg zum letzten See, dessen Umrisse sich unten auf einer weiten Fläche abzeichnen. Der Trüebsee scheint nahe, doch es sind noch einige Serpentinen zu bewältigen. Die letzten Kilometer sind die mühsamsten – Kiesel und glatte Felsplatten fordern Aufmerksamkeit, um ein Ausrutschen zu vermeiden. Wir passen unser Tempo an.
Am Ufer des Trüebsee herrscht Hochbetrieb – ein Paradies für Familien und Tourist*innen. Spielplätze, Seilrutschen, Trampoline und andere Attraktionen säumen das Ufer. Ein kleines Holzchalet bietet Boote zur Miete an, um dem Trubel zu entkommen. Wir ziehen jedoch die ruhige Fahrt mit der Seilbahn hinunter nach Engelberg vor.
▪️ Route: Melchsee-Frutt – Engelberg, Route 88 folgen
▪️ Länge: 15 Kilometer
▪️ Höhenunterschied: ↗ 620 Meter, ↘ 760 Meter
▪️ Schwierigkeitsgrad: mittel
▪️ Details: siehe SuisseMobile
Camille Marion ist Co-Redaktionsleiterin des VCS-Magazins. Auf ihrem Reiseblog «Lève l'encre» teilt sie ihre Reiseberichte über die Landschaften der Schweiz und anderer Länder.