«Die Rolle der Stadtplanerin ist es, das Feld der Möglichkeiten zu öffnen»

Interview: Camille Marion

Das Atelier OLGa, ein Büro für Stadtplanung in Renens (VD), lädt ein, Lebens- und Durchgangsorte neu zu denken – mit temporären Einrichtungen, die oft bestehen bleiben. Ein Interview mit der Mitbegründerin Jade Rudler.

Jade Rudler, kann man die Welt mit temporärem Mobiliar verändern?

Ich denke schon. Innert weniger Jahre hat sich die Art, öffentliche Räume zu gestalten, komplett verändert. Wir stellen fest, dass Projekte, die vor fünf Jahren Wettbewerbe gewonnen haben, einer bereits überholten Vision entsprechen, etwa wenn sie Asphaltplatten vorsehen. Die Arbeit mit temporären Einrichtungen erlaubt, rasch eine Vision in Originalgrösse davon zu erhalten, was möglich ist, ohne Zeit mit Bewilligungsverfahren zu verlieren. Zudem kostet es auch deutlich weniger.

Jade Rudler

Die Architektin und Stadtplanerin Jade Rudler ist Mitbegründerin des Ateliers OLGa. Das Büro für Stadtplanung in Renens bietet eine Vision des öffentlichen Raums, die Gestaltungen und Animation miteinander verbindet – für inklusivere, lebendigere und gemeinschaftlichere Städte. Rudler untersucht Verbindungen – zwischen Menschen, zwischen Orten und vor allem zwischen Menschen und Orten. Sie hat an der ETH Lausanne eine Dissertation über die Rolle der Stadtplanerin und den Einbezug der Bevölkerung in die Gestaltung des öffentlichen Raums geschrieben.

Aber es ist nur vorübergehend…

Das ist relativ: Jede Einrichtung ist in einem gewissen Zeitrahmen vorübergehend. Im Atelier OLGa sprechen wir gerne von einem evolutionären oder adaptiven öffe tlichen Raum, wir betrachten ihn als nie fertig. Das temporäre Aufstellen von Mobiliar eröffnet die Möglichkeit, verschiedene Massnahmen zu testen und ihren Einfluss auf das Verhalten zu beobachten. Das Ziel ist immer, zu dauerhaften Einrichtungen zu kommen, aber indem man ausprobiert, um die richtige Lösung für einen bestimmten Ort zu finden.

  

Das Atelier OLGa definiert sich als ein «Büro für die Aktivierung öffentlicher Räume». Wie sieht Ihre Vision von Stadtplanung aus?

Die Gestaltung genügt nicht, wir wollen Orte schaffen, die den Menschen ins Zentrum rücken und Begegnungen fördern. Unsere Arbeitsmethode besteht darin, die Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Raums zu mobilisieren und sie einzuladen, ihre Umgebung neu zu denken. In der Regel sind wir von Gemeinden beauftragt und arbeiten vor Ort mit der Bevölkerung, den lokalen Geschäften und Vereinen. Wir benutzen gewollt einen simplen Ansatz: Wir kommen nicht mit einem festen Plan, sondern mit einer Aktivierungsstrategie, die es den Teilnehmenden erlaubt, sich ganz ins Projekt einzubringen.

  

Der partizipative Ansatz hat immer mehr Erfolg. Welches sind seine Vorteile?

Es sind vor allem zwei: Es werden mehr Leute ins Projekt einbezogen und die Meinungen sind breiter gefächert. Wir laden die Bevölkerung zu Workshops im öffe tlichen Raum ein, berücksichtigen aber auch das Feedback der Personen, die sich zum Zeitpunkt der Aktion dort befinden und sich einbringen möchten. So wird die Sichtweise von Personen integriert, die nicht unbedingt an einen Informationsanlass gekommen wären, die kommunalen Verfahren nicht kennen oder die Sprache nicht gut sprechen. Der zweite Vorteil ist das Ergebnis. Das Projekt, zu dem das Vorgehen führt, ist nicht nur aus unseren Köpfen und der Beobachtung des Ortes hervorgegangen, es ist eine Co-Kreation mit betroffenen und an einer Meinungsäusserung interessierten Personen. Die Diskussionen und Versuche führen zu einer Lösung, die viel eher auf Zustimmung stösst.

  

Partizipation hat auch viele verschiedene Meinungen zur Folge. Wie gehen Sie damit um?

Ein Test in Originalgrösse ist immer sehr aussagekräftig. Mit Bändern, Kreide, Mobiliar und Teppichböden verändern wir den öffentlichen Raum, um sichtbar zu machen was möglich ist und was nicht funktioniert. Wir bearbeiten den öffentlichen Raum wie einen Lehmblock, mit der Freiheit, ihn umzugestalten. Auf die erste partizipative Baustelle folgt nach einigen Monaten immer eine Analyse und dann eine zweite Baustelle, um den Ort den Nutzungen anpassen zu können.

  

Die Arbeitsmethode des Ateliers OLGa ist innovativ. Glauben Sie, dass sie sich durchsetzen wird?

Ja, das ist bereits der Fall. Wir intervenieren regelmässig in akademischen Kreisen und stellen ein Interesse der Studierenden fest. Die Art, den öffentlichen Raum zu gestalten, wird sich sicher in diesem Sinn entwickeln. Auch für die Politik ist der Ansatz vielversprechend. Er erlaubt es, konkrete Lösungen rasch sichtbar zu machen und ein offenes Ohr für die Bevölkerung zu haben. Die Nachfrage steigt ständig, neue Büros und Kollektive sind also willkommen.

  

Mit Tests in Originalgrösse im öffentlichen Raum wertet man die heutigen Nutzungen auf, gibt aber auch jenen Personen Impulse, die das Morgen planen.

  

In Ihrer Dissertation haben Sie die Rolle der Stadtplaner im Mobilitätsverhalten untersucht. Kann man daraus schliessen, dass das Verhalten durch die Gestaltung des öffentlichen Raums bestimmt wird?

Das funktioniert in beide Richtungen. Natürlich beeinflusst die Gestaltung des öffe tlichen Raums das Verhalten. Man sieht das am Beispiel der Velowege, die das Velofahren fördern. Aber es ist von Vorteil, dass auch das Verhalten die Gestaltung beeinflusst, sonst würde das bedeuten, dass die Stadtplanerinnen und Stadtplaner an Stelle der Menschen entscheiden.

In unserer Arbeit versuchen wir das Potenzial zu bestimmen, indem wir das Verhalten berücksichtigen, das in der Umgebung des untersuchten Ortes gelebt wird. Die Kinder der benachbarten Tagesstätte könnten draussen spielen, wenn die Lieferwagen etwas weiter weg halten würden; der Boxclub könnte draussen trainieren, wenn die Strasse zugunsten des Trottoirs verkleinert würde. Die Rolle der Stadtplanerin ist es, das Feld der Möglichkeiten zu öffnen. Die Gemeinde ihrerseits muss nicht in die Belebung des öffe tlichen Raums investieren, sie muss die Bedingungen schaffen, die es den bestehenden Aktivitäten ermöglichen, sich zu entfalten.

  

Sie sprechen in Ihrer Arbeit vom «Städtebau im Zwischenbereich». Wie ist dieser Begriff u verstehen?

Es handelt sich um einen Städtebau, der die Zeiträume verbindet. Er stellt zwischen dem Alltag aus dem Blickwinkel der Nutzenden und der Zukunft aus der Sicht der Planungsexpertinnen und -experten eine Beziehung her. Manchmal ist eine Diskrepanz zwischen der aktuellen Nutzung und den längerfristigen Projekten feststellbar. Mit Tests in Originalgrösse im öffe tlichen Raum wertet man die heutigen Nutzungen auf, gibt aber auch jenen Personen Impulse, die das Morgen planen.

  

Die Omnipräsenz des Autos hat den öffentlichen Raum mehr zu einem Verkehrs- als zu einem Begegnungsort gemacht. Wie bringt man das Leben zurück auf die Strasse?

Indem man den Raum neu aufteilt: weniger Platz für Fahrzeuge, mehr für Menschen. Eine fussgängerfreundliche Gestaltung ist ideal, denn alle sind Fussgängerinnen und Fussgänger, sobald sie aus dem Auto steigen. Aber ich stelle mich nicht gegen Autos. Geteilte Räume wie Begegnungszonen fördern den Austausch. Das Wichtigste ist, den Betroffe en zuzuhören. Viel mehr als die Einrichtungen sind es die Diskussion und die Co-Kreation des Raums mit seinem Publikum, das ihn lebendig macht.

  

Wie sieht für Sie die Stadt von morgen aus?

Ähnlich wie die heutige. Die Stadt von morgen hat Spuren von gestern, die Infrastrukturen bleiben, aber man lernt, sie zu verändern und anders zu nutzen. Ausserdem lässt sie viel Platz für Leben, mit durchlässigeren Böden und mehr Natur. Grün findet immer Anklang.

  

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