Äpfel, Luftboote und unerwartete Höhenmeter

Die Bodenseeregion ist ein geeignetes Terrain für eine mehrtägige Tour mit einem dreijährigen Ve-lofahrer. Es gibt eine gute Veloinfrastruktur, zahlreiche Angebote für Kinder und es ist auf weiten Strecken flach.

Tag 1: Überholmanöver

Der Dreijährige zeigt gegen den Himmel und ruft begeistert: «Ein Luftboot!» Tatsächlich stechen rund um den Bodensee die vielen Zeppeline ins Auge, nebst den unzähligen Apfelbäumen natürlich. Während die kindliche Begeisterung dem ungewohnten Objekt im Himmel gilt, konzentrieren sich der Velofahrer und die Velofahrerin auf den Weg. Der Bodenseeradweg ist nämlich ausgesprochen beliebt. Das Radlerherz freut’s. Will das Kind zwischenzeitlich selber fahren – den Blick vornehmlich nach oben gerichtet –, wird den Eltern bang. Entgegenkommende sind meist auf einem E-Bike und entsprechend schnell unterwegs. Wer in dieselbe Richtung fährt: ebenso, was zusätzlich zum Gegenverkehr viele Überholmanövermit sich bringt.

Schon wenige Kilometer nach dem Start in Romanshorn lockt das Sünnehüsli bei Güttingen zum Halt und zieht die Blicke des Kleinen definitiv zurück auf den Boden. Hier gibt es alles, was das Kinderherz begehrt: einen alten Traktor und eine Walze, Dreiräder und Trottinette, Schaukeln und Rutschen. Aber auch Hasen, Schweine und Ziegen, letztere dürfen gar gestreichelt werden. Der lange Aufenthalt schlägt aufs Zeitbudget. Das Kind ruht sich im Anhänger aus und auf dem weiteren, gut markierten Weg bis zum Tagesziel Steckborn bleibt einzig im beschaulichen Gottlieben Zeit für eine kurze Pause.

Tag 2: Kulinarischer Höhenflug

In Steckborn geht es erst einmal weg vom Seeufer in Richtung Süden, entlang der Schweizmobil-Route 60 bis Reckenwil und  weiter auf der Seerückenroute nach Wäldi. Der Velofahrer mit dem Kind im Anhänger flucht, der Thurgau seiner Vorstellung war flach. Für die Strapazen entschädigt der Napoleonturm in Wäldi, auch wenn die Sicht an diesem nebligen Herbsttag leider nicht ganz bis zu den Alpen reicht. Der Kleine ist nach den 206 Stufen – die hat ein netter Herr gezählt, der bereits oben auf der Aussichtsplattform steht – richtig aufgewacht.

In Neuwilen geht es weiter auf der Route 923 nach Weinfelden, wo Giusi’s Bistro mit einem nicht weniger als grossartigen Mittagessen, hergestellt aus lokalen Produkten, aufwartet. Die nachmittägliche Weiterfahrt der Thur entlang nach Bischofszell kommt den vollen Magen entgegen. Bischofszell assoziiert die Velofahrerin aus dem Mittelland sofort mit der gleichnamigen Lebensmittelfabrik.

Tatsächlich taucht bei der Anfahrt unübersehbar ein Fabrikschlot auf. Die anschliessenden Internetrecherchen werden aber zeigen, dass die Bischofszell NahrungsmittelAG weiter nördlich liegt. Aber das Städtchen ist auch sonst einen Besuch wert. Unter der achtjochigen Thurbrücke aus dem Jahr 1487 locken Kiesstrände zum Baden und Spielen – auch mit kleineren Kindern. Die Rosengärten rund um die einst bischöflich-konstanzerische Stadt  lüden zum Verweilen ein – den Dreijährigen zieht es allerdings auf den Spielplatz mit Seilbahn neben der imposanten Johanneskirche aus den 60er-Jahren. Ein Wermutstropfen ist der viele Verkehr, auch im Zentrum, der das «schützenswerte Ortsbild» nicht richtig zur Geltung kommen lässt.

Tag 3: Ein Schloss und viele Fische

Auf der «Mostindientour» geht es von Bischofszell weiter in Richtung Amriswil. Nach knapp zehn Kilometern und einer steilen Abfahrt erreicht das Grüppchen das Schloss Hagenwil. Es ist das einzige erhaltene Wasserschloss in der Schweiz, die Entstehung geht auf das 13. Jahrhundert zurück. Im Wassergraben tummeln sich zwar keine Krokodile, dafür hungrige Karpfen, Goldfische und Kois. Für Reisende mit Kindern und Tierfreunde gibt es gleich auf der anderen Strassenseite einen Selbstbedienungskiosk, der auch Fischund Ziegenfutter im Angebot hat.

Der Dreijährige wirft Handvoll für Handvoll Fischfutter in den Schlossgraben. Danach streckt die Velofahrerin den Ziegen Futter hin, immer bemüht, auch die kleineren und schwächeren Tiere zu berücksichtigen. Das ist keine einfache Aufgabe. Der Dreijährige findet die Kämpfe der Tiere ums Futter fürchterlich und will sofort zurück zu den Fischen.

Letztere sind zwar bestimmt nimmersatt, aber dennoch akzeptiert Ersterer den Vorschlag, im Schlossrestaurant zu Mittag zu essen. Das Restaurant, das die Besitzerfamilie seit 200 Jahren führt, wartet mit einem edlen Ambiente auf. Die Velofahrenden fühlen sich nicht wirklich passend gekleidet, doch das freundliche Personal und das gutbürgerliche Mittagessen lassen das rasch vergessen. Das Tagesziel Arbon und damit wieder das Bodenseeufer erreichen die drei auf vornehmlich verkehrsarmen Nebenstrassen – bis Dottenwil auf dem Konzil-Radweg und weiter nach Arbon auf der Obstgarten-Route.

Tag 4: Veloinfrastruktur und viel Verkehr

Nach einer kurzen Fahrt auf dem Bodenseeradweg nach Romanshorn geht es mit der Fähre hinüber nach Friedrichshafen. Während auf der Schweizer Seeseite Nebenstrassen dominierten, führt auf der deutschen Seite ein gut ausgebauter Radweg dem See entlang. Leider fast immer neben der stark befahrenen Hauptstrasse, auf der werktags sehr viele Lastwagen unterwegs sind. Wenn dann und wann die Strasse überquert werden muss, löst das trotz kluger Verkehrsführung mit Anhänger, Gepäck und einem ungeduldigen Dreijährigen auf dem eigenen Velo Stress aus.

In Immenstaad geht es endlich weg vom See und damit auch vom Verkehr. Breite, abgetrennte und bestens ausgebaute Velowege führen nach Ittendorf – dank der zahlreichen Velowegweiser fällt die Orientierung leicht. Wie schon auf der Schweizer Seite stehen entlang der Strassen allerlei Apfelbäume Spalier. Dass Äpfel auch Unerwartetes können, beweist der mittags (!) degustierte Gin vom Obsthof Steffelin, dem der Brennmeister seinen Lieblingsapfel, Elstar, beigefügt hat. Währenddessen flitzt der Dreijährige auf den bereitstehenden Spielzeugtraktoren über das Gelände des Obsthofes.

Tag 5: Ein Wald voller Affen

Tags darauf lockt auch auf deutscher Seite ein Aussichtsturm. Motiviert folgen die Velofahrerin und der Velofahrer ab Markdorf den Schildern in Richtung Gehrenberg. Ohne Strom und nach einer Weile auch ohne Körner unterwegs, kapituliert der Velofahrer mit dem Kinderanhänger. Er steigt ab und schiebt. Ob der Turm hält, was er verspricht? Keine Ahnung, der Nebel hielt sich an diesem Vormittag leider hartnäckig. Immerhin: einmal oben auf dem Berg angekommen, folgt als Belohnung eine rasante Abfahrt.

Ziel bis Mittag ist der Affenberg Salem, wo knapp 200 Berberaffen auf einem Hügel in einem 20 Hektar grossen Wald leben. Zwar fällt das Popcorn-Füttern zum Leidwesen des Kleinen wegen Corona aus. Doch es ist sehr eindrücklich, die Tiere ganz aus der Nähe betrachten zu können. Die Menschen sind hier die Gäste, sie dürfen die für sie vorgesehenen Wege nicht verlassen.

Tag 6: Nervenkitzel

Nach der Übernachtung in Überlingen geht es auf dem Bodenseeradweg nach Uhldingen, wo der Tag mit einem Besuch der Pfahlbauten so richtig startet. Vor knapp 100 Jahren gegründet, bietet das Freilichtmuseum auf einem Rundgang Einblick in die verschiedenen Epochen der Pfahlbauten am Bodensee. Eindrücklich ist auch die Ausrüstung, die Forscher in früheren Zeiten verwendet haben, um Unterwasserfunde zu sichten und zu bergen.

Nach dem geschichtsträchtigen Vormittagsprogramm lockt später ein Abenteuerpark die Familie. Er entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Seilpark. Der Dreijährige steigt mit sichtlicher Begeisterung in einen Klettergurt. Der Velofahrer bietet sich umgehend und freimütig als Begleitung für den Kleinen an. Währenddessen versucht die Velofahrerin entspannt zu bleiben, während ihr eine nette Angestellte routiniert den Klettergurt festzieht und einen Helm in die Finger drückt.

Was die Macherinnen und Macher hier für die ganz Kleinen gebaut haben, ist grosses Kino: Auf zwei Parcours können Kinder bereits ab drei Jahren klettern. Sie gehen dabei unter anderem über ein «Baumklavier» oder fahren rasant an einer Tyrolienne durch die Luft. Der Dreijährige geniesst es sichtlich. Die Velofahrerin klammert sich unterdessen einige Meter weiter oben mit gemischten Gefühlen an den Seilen fest.

Fazit: unkompliziert, familienfreundlich

Das Fazit nach sieben Tagen im Sattel fällt positiv aus. Die Gastgeberinnen und Gastgeber in der Bodenseeregion tun viel, damit sich auch die jüngsten Gäste wohlfühlen. So gibt es beispielsweise in fast allen Restaurants spezielle Kinderkarten, meist gleich zusammen mit Buntstiften, um sie beim Warten aufs Essen individuell zu gestalten.

Sportlich ist die letzte Etappe keine Herausforderung. Von Überlingen zurück nach Friedrichshafen sind es nur knapp 10 Kilometer auf dem Bodenseeradweg, nach einem Temperatursturz und bei strömendem Regen kein Unglück. Per Fähre geht es schliesslich von der Stadt der Luftboote aus zurück nach Romanshorn.

 

Die Reise wurde unterstützt von Thurgau Tourismus und Tourismus Marketing Baden-Württemberg.


Einige Informationen:

|
Diese Seite wird nur mit JavaScript korrekt dargestellt. Bitte schalten Sie JavaScript in Ihrem Browser ein!
.hausformat | Webdesign, TYPO3, 3D Animation, Video, Game, Print