Gemütlich statt glamourös

In der Verlängerung des Grats, auf dem die Wandergruppe vom Gipfel der Madrisella absteigt, ist am Horizont unser Grenzpass zu erkennen, das Plattenjoch.

Freundinnen, die begeistert vom Skifahren im Montafon zurückkehrten, Freunde, die von geborenen Gastgebern und reichen Pilzernten schwärmten … Grund genug, den Südteil des Bundeslandes Vorarlberg mal ein Stück weit selbst zu erkunden.

Mit jedem Meter, den wir an Höhe gewinnen, weitet sich das Panorama der Bündner Bergwelt. Unter einem strahlend blauen Himmel leuchten am Hang gegenüber die Heidelbeerstauden in Gelb-, Orange- und Rottönen, während der Silvretta-Gletscher fast wie in seinen besten Tagen glänzt. Auf halbem Weg zur Seetalhütte holen wir die Familien ein, die mit uns im Taxi von Klosters zur prächtigen Alp Sardasca (1646 m ü. M.) hochgefahren sind, und hören einen der Väter die Kinder fragen: «Habt ihr schon einmal Wasser direkt aus dem Bach getrunken?» Die Antworten bekommen wir nicht mit, wohl aber die Jauchzer beim Schritt zur Tat.

Zufrieden gewesen ist die Kinderschar sicher auch mit der SAC-Selbstversorgerhütte, die von aussen einer besseren Baracke – oder einem Hexenhäuschen – gleicht, aber komfortabel eingerichtet ist (zwölf Schlafplätze). In ein paar Minuten ist man am «See» (2062 m), wie ihn die Landeskarte prosaisch nennt, dessen Türkis je nach Lichteinfall fast schon überirdisch wirkt. Die Zufriedenheit mit unserer Routenwahl erreicht einen ersten Höhepunkt.

Viele Wege führen ins Montafon

Grundsätzlich war der Plan rasch geschmiedet: Wir wandern vom Prättigau aus ins Montafon ein. Das grosse Werweissen begann beim Kartenstudium. Gafier Joch, Schlappiner Joch oder Carnäira- beziehungsweise Garnerajoch? Oder doch die sehr alpine Route übers Plattenjoch? Letzteres und damit die Tübinger Hütte des Deutschen Alpenvereins als Zwischenziel reizte uns letztlich am meisten.

Auch wer im Mittelland wohnt, ist dank dem Gotschnataxi zur Mittagszeit in Sardasca startbereit – und schafft es so auch am Saisonschluss, Ende September, bei Tageslicht bis ins Montafon. Vier Stunden etwa sind zu veranschlagen, Pausen exklusive. Auf dem nun schmalen, anspruchsvollen Bergweg ziehen wir unter Chlein und Gross Seehorn weiter ins Tal hinauf. Unversehens folgt sozusagen die Schlüsselstelle, eine etliche Meter hohe Felsbarriere, die mithilfe der angebrachten Eisenstifte und -griffe gut zu überwinden ist. Gerne hätten wir die Jäger, die uns kurz zuvor entgegengekommen waren und mit denen wir nette Worte zur bevorstehenden Gämsjagd wechselten, nachträglich gefragt, wie sie ihren Hund über dieses Hindernis bringen.

Grenze mit düsterer Vergangenheit

Und schon stehen wir, 400 Meter höher, in der obersten Etage des Seetals, im ausgedehnten, von erstaunlich viel Grün durchzogenen Vorfeld, das der Seegletscher geräumt hat. Links der düstere Schottensee, in der Felskulisse vor uns irgendwo unser Passübergang. Der Pfad ist nicht mehr überall ausgeprägt, aber bestens markiert. Bald treffen wir auf den Weg, der von der Saarbrücker Hütte im Kromertal (A) über die Seelücke hierher führt. Der steile Schlussaufstieg ins Plattenjoch (2727 m) treibt den Puls nochmals kräftig in die Höhe.

Grenzen verbinden, Grenzen trennen, Grenzen sind abbau-, verschiebbar und vergänglich, aber plötzlich ganz schnell auch wieder hochgezogen. So oder ähnlich sinnieren wir jeweils, wenn wir wie heute von einem Land ins andere wechseln. Was für ein Glück, einfach darüber hinwegsetzen zu können. Von der tragischen Zeit dieses Grenzabschnitts während des Naziregimes erzählt sommers im Montafoner Dorf Gargellen ein Stationentheater an Originalschauplätzen: Es vermittelt unter die Haut gehende Geschichten von Fluchtversuchen, Geschichten übers Schlechteste und Beste, wozu der Mensch in Extremsituationen fähig ist – und beleuchtet Grauzonen dazwischen. Die Vorstellungen sind seit Jahren permanent ausgebucht.

Die ersten 100 Höhenmeter auf österreichischem Boden sind ein einziges Vortasten und Rutschen: über Moränenschutt und um Felsbrocken herum, zwischen denen Blankeis bleckt, kümmerliche Reste des Plattengletschers. Anfangs Saison, mit einer noch schön dicken, griffigen Schneedecke, wäre diese Passage bestimmt vergnüglicher.

So wanderte man gern bis Tübingen

Den restlichen Abstieg schaffen wir, dünkt uns, elegant und zügig, sosehr ihn Murmeltiere auch mit Pfiffen quittieren. Die Tübinger Hütte (2191 m) entspricht vollauf unseren Erwartungen: gastlich und (sehr) gut belegt das Haus, währschaft die Küche. Beim Gutenachtbier auf der grossen Terrasse schauen wir besorgt zum Himmel: Ob das Wetter hält? Ob uns der Tübinger Höhenweg morgen den traumhaften Überblick über das Montafon beschert, den er verspricht?

Um acht Uhr nieselt es. Trotzdem brechen wir auf, umrunden den Talkessel, überqueren einen ersten Wildbach, einen zweiten, einen dritten … Auch das Garneratal steuert viel Rohstoff zur Versorgung der Region mit einheimischer Energie bei. Der Himmel stellt den Nachschub ein, und wir kommen zur Verzweigung, wo wir gelandet wären, hätten wir uns für die Variante Carnäira-Joch entschieden (von Klosters zum hübschen Bergdorf Schlappin, von dort in vier Stunden auf unproblematischem Bergwanderterrain zur Tübinger Hütte).

Der Aufstieg ins Vergaldner Joch (2511 m) führt durch eine versteckte Geländekammer, danach ist man dem Himmel ständig ganz nah: zuerst auf der Krete, die zur Heimspitze hinüberzieht, nach dem Matschuner Joch dann auf dem Bergzug, in dessen Mitte die Madrisella (2466 m) thront, die den kleinen Umweg für die Gipfelbesteigung mehr als nur lohnt. Im Sommer dürfte für die in ihrer Ostflanke eingebetteten Seelein Gleiches gelten.

Die Zimba, das Matterhörnchen

Gute fünf göttlich schöne Stunden sind wir gewandert, als wir in der Nova Stoba, dem Maxirestaurant bei der Bergstation der Versettlabahn (2020 m), den grossen Durst löschen und nach all der erlebten Stille merken, dass es nicht überall im Montafon so einsam ist. Aber es ist viel Platz in und zwischen den Gebirgsketten der Silvretta, des Verwall und des Rätikon. Viel – ganz besonders auch familienfreundlicher – Platz für verschiedenste Ferienbedürfnisse und sportliche Disziplinen.

Nach Gaschurn hinuntergegondelt, finden wir ein Dorf vor, das prima vista nichts Spektakuläres bietet. Ob Vierstern-Etablissement mit Wellnesswelt und renommierter Küche oder einfacher Landgasthof: Die Freundlichkeit ist im Preis gleichermassen eingeschlossen. Wir suchen nach einer treffenden Charakterisierung des Ganzen – und finden den Titel zu diesem Text.

Die Schweiz hat das Matterhorn, gewiss eine grandiose Kulisse. Doch selbst wenn die bergsteigerischen Fähigkeiten da wären, brächten uns da keine zehn Rosse rauf. Die Zimba, das «Montafoner Matterhorn», hingegen müssen wir uns mal näher ansehen. Und das Europaschutzgebiet Verwall nördlich und östlich von Gaschurn sowieso.

Praktische Informationen

Für die beschriebene Tour ausreichend: Wanderkarte 5002 T Chur – Arosa – Davos 1:50 000, Landeskarte 1:25 000 Blatt 1178 Gross Litzner.

Taxi in Klosters: Tel. 081 420 20 20, www.gotschnataxi.ch

Der öffentliche Verkehr im Montafon (Anreise aus der Schweiz über Buchs SG bis Bludenz, Umsteigen auf die Montafonerbahn, ab Schruns Buslinien) bietet ein dichtes Netz und gute Verbindungen: www.montafonerbahn.at

«Einstiegsportal»: www.montafon.at

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