Touren in die Natur

Kennen Sie die Grande Cariçaie?

Payerne, Avenches und Estavayer-le-lac liegen nur wenige Kilometer auseinander und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein.

Zum einen liegen die Städtchen nicht im selben Kanton. Payerne und Avenches gehören zur Waadt, während sich Estavayer stolz mit den Freiburger Kantonsfarben schmückt. Zum anderen haben sie ihre ganz eigene Geschichte, die sich im Lebensstil, im sozialen und kulturellen Erbe sowie in der Architektur manifestiert. 

Was könnte sich besser für eine Entdeckungsreise eignen als das gute, alte Zweirad? Die Gegend um die Broye und den Mont Vully grenzt an den malerischen Murten- und den ebenso schönen Neuenburgersee, was das Velofahren besonders angenehm macht. Die abwechslungsreiche Route führt uns entlang den Ufern über autofreie Wege vorbei an Waldrändern, Weinreben, Getreide- und Tabakfeldern und Picknickplätzen.

Motor einschalten hilft

Schämen sollten wir uns bis ans Ende unserer Tage! Eigentlich würde ein ganz gewöhnliches Fahrrad völlig genügen, um in diesem einfachen Gelände vorwärtszukommen. Doch an der PubliBike-Station in Payerne können wir der Versuchung nicht widerstehen, ein Elektrobike zu mieten. Zum ersten Mal in unserem Leben schwingen wir uns auf dieses moderne Zweirad und testen die Tauglichkeit auf der ersten leichten Steigung hoch zur ehemaligen Abteikirche Notre-Dame. Nach den ersten Minuten ist unser Urteil gefällt: Die elektrische Unterstützung bringt, wie unsere durchgeschwitzten Kleider beweisen, rein gar nichts. Ein aufmerksamer Passant weist uns allerdings darauf hin, dass wir vergessen haben, den Motor einzuschalten… 

Das Aushängeschild von Payerne, die Abteikirche aus dem 11. Jahrhundert, ist eine einzige grosse Baustelle. Doch das ist nicht überraschend, denn ohne die Sanierungsarbeiten wäre sie in absehbarer Zeit wohl eingestürzt. Glücklicherweise kam im letzten Moment das nötige Geld für ihre Rettung zusammen, sodass ihr Weiterbestehen gesichert ist. Als grösste romanische Kirche der Schweiz ist die «Abbatiale» immerhin von nationaler Bedeutung.

Elegantes Estavayer

Wenige Kilometer weiter erwartet uns das Städtchen Estavayer, das Payerne punkto Eleganz in nichts nachsteht. Wir bewundern die mittelalterliche Stadt mit dem Schloss, das oberhalb des Neuenburgersees thront. Der Ausblick ist atemberaubend. Von den ursprünglich drei Türmen steht nur noch einer, der heutige Taubenschlag. Den Spaziergang durch die gepflasterten, steilen Strässchen verschieben wir auf unseren nächsten Besuch und fahren stattdessen weiter in nordöstlicher Richtung. Hier beginnt eines der acht Naturschutzgebiete, die zusammen die Grande Cariçaie  bilden. 

Die Grande Cariçaie ist das grösste Seeuferfeuchtgebiet der Schweiz. Sie beherbergt etwa ein Viertel der Flora und der Fauna des Landes. Dieses hochsensible Gebiet erfreut sich einer aussergewöhnlichen Biodiversität und geniesst kantonal und national einen besonderen Schutz. Kleiner Exkurs: Dieses Naturschutzgebiete verdankt seine Existenz einem Autobahnprojekt Ende der 1970er Jahre. Oder besser gesagt, dem Nichtzustandekommen des Projekts, weil sich zwei Naturschutzvereine mit einer beispiellosen Mobilisation dagegen wehrten, dass die Ufergebiete zubetoniert werden.

Zu Fuss durchstreifen wir das Gebiet Grèves d’Ostende (Gemeinden Chevroux, Gletterens, Delley-Portalban) und stellen wieder einmal fest, wie beruhigend die Natur ist. Während einer guten Stunde lassen wir uns von den einfachen Freuden des Lebens überraschen: Wir lauschen dem Vogelgezwitscher, entdecken einen Baumstamm, an dem ein Biber seinen Hunger gestillt hat, nehmen einen schmalen Weg durch hohes Schilf und machen eine kurze Rast an einem malerischen weissen Sandstrand. Um ein Haar wären alle diese kleinen Naturwunder unter einer Schicht aus Beton und Abgasschwaden verschwunden…

Hoch zum Wasserturm

Wieder auf dem Velo erreichen wir das Dörfchen Chabrey. Von dort nehmen wir mit viel Schwung die einzige wirkliche Steigung auf dieser Strecke in Angriff, die uns nach ein paar Kilometern zum Wasserturm von Montmagny führt. Der anschliessende Aufstieg auf den Turm wird mit einem grossartigen 360-Grad-Ausblick über die Drei-Seen-Region, die Weinberge, den Jura und die Alpen belohnt. Die Abfahrt nach Constantine bringt uns mitten ins Herz der relativ jungen Gemeinde Vully-les-Lacs und ihren AOC-Weinreben. Als wir in der Nähe einer kleinen Menschenansammlung anhalten, stellen wir fest, dass die «gutnachbarschaftlichen Beziehungen» nicht nur Theorie sind. Ein Grossteil der Dorfbewohnerinnen und -bewohner hat sich in der «Cuisine communale» versammelt und backt bestens gelaunt den bekannten Vully-Kuchen, der anschliessend zusammen mit einem Gläschen Vully verzehrt wird. Die lokalen Weine, vor einigen Jahren noch als billige Tresterweine abgetan, sind heute zu delikaten Kreationen geworden, die mit den edelsten Tropfen mithalten können.

Zurück zu den Römern

Am Ende unserer abenteuerlichen Fahrt empfangen uns Salavaux, Avenches und der Murtensee. Am Bahnhof in Avenches geben wir unsere E-Bikes zurück und machen uns zu Fuss daran, die zwei Gesichter des Städtchens zu erkunden: das mittelalterliche Stadtzentrum und die berühmten Ruinen von Aventicum, um 15 vor Christus Hauptstadt des römischen Helvetiens. Wir gehen weiter zum Osttor, steigen auf den Tornallaz-Turm, der einzige noch intakte und inzwischen renovierte Ringmauerturm von ursprünglich 73 Türmen. Wir besuchen die Thermen des Forums und das Cigognier-Heiligtum, den Grange-des-Dîmes-Tempel, das Amphitheater und die Überreste des Westtores.

Dieser Spaziergang durch die römische Vergangenheit macht uns bewusst, dass jede Epoche – und sei sie noch so schön – zu Ende geht. Und so geht auch dieser Tag zu Ende. Wir schlagen ein neues Kapitel auf und blättern weiter in der Geschichte.

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