Loblied auf die Bourgeoisie

«Wir haben das Gefühl, durch einen Park gewandert zu sein.» Im Bild der Einstieg dazu oberhalb von Romont.

Wenn das Stichwort Romont fällt, denken alle ans hübsche Freiburger Hügelstädtchen. Kaum jemand kennt das gleichnamige Dorf im Berner Jura. Dabei ist es der perfekte Ausgangspunkt zum Beispiel für einen Maibummel, en famille oder mit der Schulklasse.

So sehr wir den Jura-Höhenweg, der rund 300 Meter oberhalb des Dorfs über die Montagne de Romont führt, im Allgemeinen schätzen, auf diesem Abschnitt gibt’s Schöneres: den Bözingenberg, der hier die vorderste Jurakette bildet. Wiesenwege oder staubiges Fahrsträsschen, Diskussion überflüssig. Seit unsere Bieler Freunde, ausgewanderte Burgdorferinnen und Burgdorfer, uns Anfang Jahr hier eingeführt haben, sind wir schon zweimal zurückgekehrt. Wählerisch, wie wir sind, will das was heissen.

Sehenswürdigkeiten braucht man in Romont nicht gross zu suchen. Wir vermerken: Gleich zwei Fahnen der Konzernverantwortungsinitiative, was doch eine beträchtliche Dichte ergibt, und das freundliche Restaurant Communal, wo wir dem Durst vorbeugen, der sich sehr bald einstellen könnte. Denn 150 der insgesamt 250 Meter Aufstieg warten gleich zu Beginn der Wanderung. Ebenso das einzige Objekt des Tages, von dem sich das Auge beleidigt abwendet: ein Schottergarten, wie er längst verboten gehörte, dazu passend ein Neubau, der nicht weiss, ob er Landvilla oder Blockhaus sein will.

Ab in die Natur, vorerst durch die Weide einer Herde schottischer Hochlandrinder. Ob sie uns schon kennen? Nun, selbst jetzt, da zwei kuschelige Kälber mit krausem, schwarzem Fell dabei sind, verläuft die Begegnung mit den martialisch aussehenden Tieren friedlich. Ein einziges gibt uns sanft zu verstehen, dass es wohl eine Kalberei wäre, die Kleinen kraulen zu wollen.

Gepflegte Urwüchsigkeit

Schritt für Schritt wird der Pfad lauschiger, all das Grün ringsum betörender. Man durchstreift hier eine typische Juralandschaft, aber da ist noch das gewisse Etwas. Links und rechts begrenzt Wald den breiten Bergrücken. Auf den ausgedehnten Weideflächen dazwischen da eine mächtige Fichte, dort ein paar Buchen oder Vogelbeer-, aber auch viele Kirsch- und Apfelbäume, die die Tour für einen Maibummel prädestinieren. Ökologisch vorbildliche Hecken mit Gestrüpp, Hagebuttensträucher und Blumeninseln, eine sogar mit dem edlen Türkenbund.

Zwei mit Sense bewehrte Senioren kommen uns entgegen. Wir fragen sie, welchem Besitzer wir diese Symbiose von urwüchsiger Natur- und gepflegter Kulturlandschaft zu verdanken hätten. «C’est la bourgeoisie de Romont», lautet die Antwort, also die Burgergemeinde. Eben seien sie einem Kraut zu Leibe gerückt, das sich nicht ausbreiten soll. Auch wenn wir dann und wann über den «Wurmfortsatz des Ancien Régime» – unsere Wortschöpfung – spötteln, wir sind oft genug Wege gegangen oder haben in Hütten übernachtet, die es ohne Bourgeoisien oder Patriziati nicht gäbe ... Was eigentlich anachronistisch ist, kann auch im modernen Sinn nachhaltig sein.

Wo der Weg zum Gehöft «La Bergerie» abfällt, öffnet sich die Landschaft. Der Chasseral steht vor uns, in der Ferne drehen die Windturbinen auf dem Mont Soleil. Wir haben das Gefühl, durch einen Park gewandert zu sein. Dazu passt, dass Romont den Nordostzipfel des weitläufigen Regionalparks Chasseral bildet. Und auch die Burgergemeinde Vauffelin, über deren Terrain wir nun gehen, macht ihre Sache ganz offensichtlich sehr gut. Zahllose Schmetterlinge umsegeln die Blumenblütenpracht.

In Robert Walsers Fussstapfen

Kurz vor dem Kurhaus Bözingenberg (928 m ü. M.) dürfte für Familien Bräteln angesagt sein. Neben den grossen Feuerstellen ergänzt eine Schaukel das Kinderprogramm. Wir lassen uns auf der Kurhausterrasse bedienen. Die Speisekarte: originell, saisongerecht. Die Aussicht: schon von Robert Walser in den höchsten Tönen gelobt. Horizontfüllend der Kranz von Alpen und Voralpen, im Vordergrund das Seeland und unser Ziel, die Uhrenstadt Biel. Ob der Tatzelwurm-Neubau der Swatch Group Walser gefiele? Speziell schön ist es hier, wenn die Abendsonne die drei Seen in goldenes Licht taucht und – eine Bieler Freundin reckte den Arm – auch die das Tor zum Emmental markierenden Burgdorfer «Flühe» beleuchtet.

Für den Abstieg (rund 500 Höhenmeter) durch den Vorbergwald zum Tierpark gibt’s drei Varianten, jene über den «Rehweg» ist etwas länger, dafür auch sanfter. Wir schenken uns die Diskussion, ob Tierpärke nicht mindestens so unzeitgemäss sind wie Burgergemeinden, finden die Zwergziegen, die uns empfangen, herzig, die Schneeeule, die direkt hinter dem Gitter ungerührt ihr Federkleid putzt, bildschön, und die Murmeltiere durchaus eine Attraktion zumindest für Kinder. Auf der Höhe des Mufflon-Geheges zweigt unser Weg rechts in den abschüssigen Hang ab: Bestens präpariert und gesichert, führt er hinunter zur Schüss und durch den schönsten Abschnitt der vom Bieler Stadtflüsschen geschaffenen Taubenlochschlucht. Er ist weitgehend in den Fels gehauen und entsprechend überdacht, einer der Tunnel nötigt uns (fast) alle zum Kopfeinziehen.

«Zukunfts-» oder Autostadt?

Die Schlucht mündet direkt ins Urbane. Statt der renaturierten Schüss entlang Richtung Stadtzentrum zu bummeln, nehmen wir den Bus Nr. 1, der uns am Juraplatz in die Altstadt entlässt. Sie ist nicht die grossartigste der Schweiz, aber mit den unzähligen kleinen Läden, der gelebten Zweisprachigkeit und ihrer Gastroszene eine der charmantesten. Ins «Les Caves» stolpert man vom Bus sozusagen hinein. Grosse Portionen zum kleinen Preis, Salate, Rösti oder Spätzli für Veganer, Vegetarierinnen und Karnivoren, eine Kinderkarte, die nicht ein oder zwei, sondern neun Menüs vorschlägt – da gibt’s nichts zu meckern.

Wer baden statt schlemmen will, fährt ins stilvolle Bieler Strandbad. Zwischen der Altstadt und dem See laden das Museumsviertel und die Schüsspromenade mit ihrer Allee und französisch angehauchten Villen zum Schauen und Verweilen ein. Wir streifen zum Abschluss durchs Gelände, das durch den Bau des A5-Westasts umgepflügt würde. Der Widerstand, der ihm entgegenschlägt, ist seit Jahren unerbittlich, gut orchestriert – und viel aussichtsreicher als auch schon.

Sie ergänzen sich ganz gut, die Bürgerinnen und Burger, die Landschaftspfleger oben auf dem Berg und die verkehrspolitisch Bewegten unten in der «Zukunftsstadt» – wie sich Biel seit dem 19. Jahrhundert nennt. Ob invasive Pflanzen- oder Fahrzeugarten, sie wollen eingedämmt sein.

Praktische Informationen

Per Zug nach Biel und Bus 71 – Abfahrt vis-à-vis dem Bahnhofplatz – nach Romont.

Wanderzeit: 2 ½ Std., ohne Stadtbummel.

Wanderkarte 1:60 000 Jura/Freiberge – Ajoie.

www.biel-bienne.ch

www.boezingenberg.ch

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