Mut zur Lücke

Bei Sonnenschein ist die Lötschenlücke eine schweisstreibende Angelegenheit – aber auch eine mit fantastischen Aussichten. Ein Skitourenklassiker im Herzen des Unesco-Welterbes Jungfrau-Aletsch.

Es ist 5.45 Uhr am Sonntagmorgen. Zusammen mit meinen zwei Tourenkollegen stehe ich am Bahnhof Spiez. Das frühe Aufstehen hat einen guten Grund: Wir wollen mit dem Zug aufs Jungfraujoch, um von dort mit den Skiern via Louwitor über die Lötschenlücke nach Blatten im Lötschental zu fahren. Die Dämmerung, der klare Himmel und die bereits angenehmen Temperaturen versprechen einen wunderbaren Tag. Die wenigen Leute, die sich so früh am Bahnhof einfinden, haben alle das Gleiche im Sinn: auf Skiern einen sonnigen Tag im schönen Berner Oberland zu verbringen. Auf den geistweckenden Kaffee haben wir uns aber leider zu früh gefreut. Der «Avec»-Laden öffnet erst nach der Zugabfahrt.

Auf der Kleinen Scheidegg wechseln wir von der Wengernalp- auf die Jungfraubahn. Etwas neidisch schaue ich einer Gruppe zu, die während der Fahrt aufs Joch ausgiebig frühstückt. Nicht einmal Anke und Konfi gingen vergessen!

Nach 50-minütiger Fahrt durch Eiger und Mönch treffen wir auf dem Jungfraujoch auf 3454 m ü.M. ein. Entgegen meinen Befürchtungen finden die Skier aus dem Gepäckwagen ihre Besitzer ohne Probleme wieder, auch wenn die Verteilaktion ziemlich chaotisch abläuft. Endlich, der langersehnten Kaffee an der Café-Bar. Bevor wir unsere Gletscherausrüstung montieren, suchen alle noch einmal das stille Örtchen auf.

Wir folgen den Wegweisern zum Ausgang für Tourengänger, Sphinxstollen genannt. Von der Sonne geblendet, stolpern wir in den Schnee. Jetzt noch die obligaten Erinnerungsfotos mit atemberaubender Aussicht auf die Gletscherwelt, dann geht’s los.

 

Auf noch etwas hartem Schnee fahren wir in südwestlicher Richtung in die Nähe des östlichen Gratausläufers vom Rottalhorn. Es hat gut sichtbare Spuren, an denen wir uns orientieren. Nach dem Anfellen binden wir uns ins Seil ein und starten in einer Dreierseilschaft in gemütlichem Tempo Richtung Louwitor. Wir befinden uns nun südlich von Punkt 3506 und steigen im Zickzack durch die Nordostflanke zum Louwitor auf. Schon nach einer halben Stunde trennen wir uns von einer ersten Kleiderschicht. Vor und hinter uns sind Dutzende weitere Seilschaften unterwegs. Über zu wenig Gesellschaft können wir uns an diesem Tag nicht beklagen.

Nach knapp anderthalb Stunden erreichen wir das Louwitor auf 3676 m ü.M. Von dort aus machen wir uns zu zweit auf den Weg zum hundert Meter höher gelegenen Louwihorn. Zwanzig Minuten später stehen wir auf dem Gipfel und werden mit einem fantastischen Blick aufs Unesco-Welterbe Jungfrau-Aletsch belohnt. Die Sonne und die anderen Gipfelstürmer strahlen um die Wette.

Wieder zu dritt, schneiden wir nun mühselige Kurven in den Bruchharst auf dem Kranzbergfirn. Unterhalb vom Gletscherbruch traversieren wir in südwestlicher Richtung den Hang entlang, bis wir uns direkt oberhalb der Normalroute befinden, die auf dem Grossen Aletschfirn Richtung Lötschenlücke führt. Wir entscheiden uns zu einer Mittagspause mit Aussicht aufs Aletschhorn. Die Sonne brennt vom Himmel, und so geniessen wir ein Sonnenbad auf 3000 m ü.M.

 

Nach der Mittagsrast traversieren wir gestärkt Richtung Grosser Aletschfirn. Unser Ziel ist es, so wenig Höhe wie möglich zu verlieren, da wir sonst alles wieder aufsteigen müssen. Nach einer weiteren kurzen Abfahrt heisst es erneut Anfellen – und dann laufen, laufen, laufen. Die Strecke bis zur Lötschenlücke erscheint uns endlos.

Die Sonne brennt unerbittlich auf uns nieder, und die verschneiten Hänge um uns herum verwandeln die Senke, in der wir aufwärts steigen, in einen Backofen. Jeder findet nun sein eigenes Tempo, und so steigen wir zur Lötschenlücke auf. Wie unser Schweiss laufen auch wir immer weiter. Endlich naht das Ziel. Über die letzten Meter wird es ein wenig steiler, und eine kühle Brise erfrischt unsere überhitzten Körper.

Oben angelangt, wird schnell eine Jacke übergeworfen und die Felle abgezogen. Wir befinden uns nun auf der Lötschenlücke, 3164 m ü.M. Oberhalb von uns thront die Hollandiahütte. Ein kleiner Snack und etwas warmer Tee geben uns die nötige Energie für die lange Abfahrt nach Blatten im Lötschental, die 1500 Meter Höhendifferenz aufweist.

Nachdem wir nun alle wieder auf den Beinen sind und unsere Rucksäcke montiert haben, fahren wir los. Kurve um Kurve auf dem Langgletscher der Fafleralp entgegen. An einigen Stellen gilt es, Gletscherspalten auszuweichen. Die vielen Spuren, die den Schnee zeichnen, weisen uns den Weg. Rechts oben erblicken wir die Anenhütte. Je mehr wir an Höhe verlieren, umso weicher wird der Schnee. Plötzlich auf der rechten Talseite ein Donnern. Die Sonneneinstrahlung hat ein Schneebrett in Bewegung gebracht, das jedoch mit viel Entfernung zu uns zum Stillstand kommt. Wir halten uns nun eher links und müssen dabei einige Lawinenkegel durchfahren. Richtig wohl ist mir dabei nicht, und ich schaue immer wieder nach oben, um mich zu vergewissern, dass nichts in Bewegung ist. Schnell fahren wir kurz oberhalb der Fafleralp zwischen Bäumchen hindurch. Dann erreichen wir die Alp. Nun heisst es: Skier Schultern und zu Fuss weitergehen. Zum Glück entdecken wir oberhalb der Strasse eine Spur, so dass wir bis nach Blatten fahren können, von wo uns das Postauto zurück nach Goppenstein bringt.

 

Infos zur Skitour

Anreise: Via Spiez–Interlaken Ost–Lauterbrunnen oder Grindelwald auf die Kleine Scheidegg. Von dort mit der Jungfraubahn aufs Jungfraujoch. www.sbb.ch

Rückreise: Von Blatten via Goppenstein nach Spiez (Bahnlinie Brig–Bern mit dem Lötschberger der BLS).

Route: Jungfraujoch–Louwitor–Louwihorn–Grosser Aletschfirn–Lötschenlücke–Fafleralp–Blatten.

Dauer: 6 Stunden

Schwierigkeit: Die Lötschenlücke eignet sich auch für Tourenanfänger in fachkundiger Begleitung.

Jahreszeit: ganzjährig; im Frühling ist die Tour bei guten Wetter- und Schneeverhältnissen meist gespurt.

Ausrüstung: Material für Skihochtouren; Gletscherausrüstung (Seil, Pickel, Anseilgürtel) zwingend.

Karten: LK 1:50 000, 264 S Jungfrau; LK 1:25 000, 1248 Mürren, 1249 Finsteraarhorn, 1268 Lötschental

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