Schluchzer in der Schlucht

Die Areuse-Schlucht ist ein kleines Naturwunder. Und ausserdem beliebtes Ausflugsziel für Familien und Schulklassen.

 

Wer in der Region Bern wohnt, hat als Kind mit grosser Wahrscheinlichkeit auf der Schulreise die Twannbach-Schlucht durchwandert. Unsere «Chers Compatriotes» aus der Westschweiz werden vermutlich gähnen, wenn ich ihnen hier die Areuse-Schlucht, die Gorges de l’Areuse, vorstelle. Sie sei «ein bevorzugtes Schulreiseziel», ist auf der Wandersite zu lesen. Doch wäre ich Lehrerin und hätte eine Klasse voll pubertierender Jungs, die in Flipflops daherkommen und den Film «Cliffhanger» gesehen haben, wo sich Silvester Stallone an Baumstämmen über Schluchten hangelt, ich würde es nicht riskieren – teilweise geht’s richtig tief hinunter. Und wandert man den ganzen Weg von Boudry nach Noiraigues, geht das Untrainierten wie mir schon ein wenig in die Beine. Und pummeligen Kindern mit guten Computerkompetenzen und schlechter Kondition vermutlich auch.

 

Den Architekten, der in Boudry die zwei hässlichen Wohnblocks an den Weg zur Schlucht gestellt hat, mitten in diese liebliche Landschaft und vis-à-vis des reizenden Café du Pont, sollte man an den Ohren nehmen. Wenig später betreten wir die kühle Klause, die die Natur hier geschaffen hat. Natürlich sind wir nicht die einzigen in dieser Schulwegschlucht. Familien begegnen uns, eine hat ein quengelndes kleines Mädchen im Schlepptau. Ihre Widerstandsschluchzer gegen diese Schluchtenwanderung werden von den tosenden Wassern geschluckt. Echo gibt es leider keins, die Eltern würden sonst wohl noch genervter dreinschauen. Als Kind hätte ich diese Wanderung etwas weniger gehasst als all die anderen, langweiligen. Als Erwachsene verliebe ich mich in diese abwechslungsreiche Schlucht: Mal geht es Treppenstufen hoch (400 Stufen sind es insgesamt), dann wieder hinunter bis ans Wasser. Alle paar hundert Meter ein Brücklein, auf dem man die Areuse überquert. Der in den Felsen gehauene Weg ist glitschig. Bäume, Moose, Flechten und das Wasser betören uns in hunderten Grünschattierungen. Die Farben öffnen uns Agglomerationsgeplagten, die wir sonst meist nur grau sehen, das Herz.

 

Nach rund zwei Dritteln der Tour steht in einer Lichtung das Hôtel de la Truite. Wenn es hier keine Forelle gibt! Doch wir haben keine Chance, eine Menükarte zu ergattern. An diesem sonnigen Sonntag sind Gartenbeiz und Restaurant so voll mit Ausflüglern – man kommt auch mit dem Auto hin –, dass wir weiterwandern und an einer der Feuerstellen gutschweizerisch unsere Cervelats und multikulturell den griechischen Grillkäse in die Flammen halten. Sind jetzt eigentlich die Därme der Cervelats aus Brasilien? Wir denken lieber nicht länger darüber nach und beissen stattdessen herzhaft in die Wurst.

Ja, in dieser Schlucht wird auch Strom hergestellt. Es ist bereits das vierte Wasserkraftwerk, an dem wir vorbeikommen. Sie alle stammen aus einer Zeit, als man noch schön baute. Und sind so liebevoll restauriert, als würde eine ausrangierte Mätresse von Louis XVI. hier hausen. Das Tal wird noch einmal eng und wild. Dann öffnet sich die Landschaft, und den letzten Teil der Strecke müssen wir auf asphaltiertem Wanderweg laufen. Die Wanderzeit ist mit drei Stunden angegeben, doch wie immer brauchen wir etwas länger. Wir schlendern – und staunen.

 

Nützliche Informationen

An-/Rückreise: Zug nach Neuenburg, von dort Umsteigen nach Boudry (Abfahrt immer xx.10, Ankunft in Boudry xx.20 Uhr); Rückfahrt ab Noiraigues immer xx.53, Ankunft in Neuenburg xx.18 Uhr)

Karte: 1:50 000 Wanderkarte 251T Val de Travers

Web: www.wandersite.ch/Tageswanderung/790_Jura.html

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