T4 für Anfänger

Die Tierberglihütte unterhalb des Sustenpasses lockt Schwindelfreie mit einem natürlichen Klettersteig. Wer früh aufsteht, wird ausserdem mit einem karibischen Sonnenaufgang belohnt.

Wir steigen aus dem Postauto und stärken uns im Hotel Steingletscher mit einem Rivella, bevor wir uns auf den Weg machen. Eine asphaltierte Strasse führt bis zum Umpolplatz, wo die automobilen Wandervögel parkieren. Wir passieren eine Stelle, an der sich riesige Gesteinsbrocken bis knapp an den Strassenrand türmen. Im Innern des Berges explodierten 1992 hunderte Tonnen Munition und Sprengstoff und sorgten für diese gigantische Schutthalde. Das Explosionsunglück am Sustenpass forderte sechs Menschenleben. Ein Wunder, dass es nicht noch mehr waren – es war Besuchstag an jenem unglücksbringenden 2. November.

Ab Umpolplatz geht es dann «obsi» zur Tierberglihütte. Der Weg ist nicht lang, auch Untrainierte schaffen ihn in plus, minus zwei Stunden. Die Bauleute, die während unseres Besuchs am Ausbau der Tierberglihütte arbeiten, haben sogar ein Wettrennen am Laufen: Wer ist der Schnellste? Ein beleibter Bauarbeiter wird am nächsten Morgen beim Frühstück erzählen, dass er die Strecke in einer Stunde sechs Minuten hinter sich gebracht hat. Der junge Maurerlehrling packt sie sogar in 54 Minuten. Der Pfad zur Hütte, der mir vom Umpolplatz aus gesehen so lang und steil vorkommt – ganz klein thront die Hütte oben auf dem Felsen –, ist bloss ihr ganz normaler Arbeitsweg.

Das Wasser in der auf 2795 Metern über Meer gelegenen Tierberglihütte ist zur Zeit unseres Besuchs knapp. In diesem heissen Juli 2015 regnet es wochenlang nicht. Die Wasserzisterne ist fast leer, zum Zähneputzen kommt ein dünnes Rinnsal aus dem Wasserhahn. Deshalb wird ein zweigeschossiger Erweiterungsbau hochgezogen, in dem ab 2016 alle Infrastrukturräume untergebracht sind, wie die Besitzerin der Hütte, die SAC-Sektion Baselland, schreibt: «Baulich befindet sich die Hütte in einem guten Zustand. Die Notwendigkeit für dieses Projekt ergibt sich aus den Anforderungen an eine umwelt- und zeitgemässe Abwasserbehandlung, an einen erhöhten Bedarf an elektrischer und thermischer Energie, um die betrieblichen Abläufe zu optimieren und die Attraktivität der Hütte für unsere Gäste zu erhöhen.» Der längliche Erweiterungsbau wird oberhalb des WC-Häuschens zu stehen kommen. Das Holzhäuschen wird dann der Vergangenheit angehören. Einerseits schade – pinkeln mit Bergsicht trägt zum Berghüttenfeeling bei. Andererseits steht das WC-Häuschen ziemlich nah am Abgrund einer Felskanzel. Betrunken aufs Klo zu gehen, ist nicht empfehlenswert.

Beim Znacht in der gemütlichen Gaststube können wir die anderen Besucherinnen und Besucher bald zuordnen. Eine grössere Gruppe macht eine Ausbildung in Fels und Eis. Die drei älteren Männer an unserem Nebentisch, die aus dem Luzernisches kommen und später mit uns den Schlafplatz teilen (ihr Schnarchen ist dialektfrei), wollen am nächsten Tag aufs Sustenhorn (3503 m ü.M.). Die zweieinhalbstündige Route ist von der Tierberglihütte aus der Klassiker. Es gibt noch weitere Perlen hier oben: Vom in zwei Stunden erreichbaren Gwächtenhorn (3420 m ü.M.) geniesst man eine Aussicht bis zum Matterhorn. Der Vorder Tierberg (3091 m ü.M.) eignet sich als Übungsfeld für hochalpine Touren; gemäss SAC-Hochtourenskala hat er die leichteste Stufe und ist in einer Stunde zu schaffen. Der Mittler Tierberg (3311 m ü.M.) ist eine Stufe schwieriger. Ihn zu erklimmen, dauert doppelt so lange. Die Hütte ist zudem Etappenort für Mehrtagestouren durch die Berner und Urner Alpen.

Hüttenwart Hans-Peter Imboden ist nebst Bergführer auch gelernter Bäcker-Konditor. Seine Desserts tragen zur grossen Beliebtheit der Tierberglihütte bei. Auf dem Menüplan steht an diesem Tag nebst Pastetli mit Reis ein leichtes Quark-Tiramisu, das wir genüsslich aus dem Glas löffeln. Tina Imboden arbeitete lange im Hotelfach, was man der Einrichtung und dem Komfort der Hütte anmerkt. Die Filzkissen auf den Bänken und Holzstühlen sind aufeinander abgestimmt, und auf der Terrasse schmücken Edelweisse in stilvollen Körben die Tische. Der Service ist zuvorkommend und kompetent. In anderen Hütten habe ich schon erlebt, dass sich die Stimmung des notorisch schlechtgelaunten Wirts aufs Team übertrug – in der Tierberglihütte ist es zu unserer Freude genau umgekehrt. Das sei ihm und seiner Frau wichtig, erzählt uns Hans-Peter, genannt Hampi: «Die Arbeitstage sind lang für uns und unsere drei Angestellten. Umso wichtiger, dass wir unsere gute Laune nicht verlieren und freundlich miteinander und mit unseren Gästen umgehen.»

Das Walliser Ehepaar ist seit 2013 auf der Tierberglihütte. Trotz der harten Arbeit gerne, wie Tina versichert: «Die Hütte ist in eine einmalige Gletscherwelt eingebettet. Wer hat schon direkt neben dem Haus einen solch imposanten Gletscher?» Auch wenn der einst mächtige Steingletscher in den letzten Jahren arg an Gewicht verloren hat: Seit Messbeginn im Jahre 1893 schmolz er um ganze 724 Meter – über die Hälfte davon zwischen 2001 und 2010. Der Gletscher geht im wortwörtlichen Sinne bachab: minus 369 Meter Länge verlor er in den Jahren 2010 bis 2014.

Wieder zuhause, erzähle ich im Freundeskreis stolz von meinem ersten T4. Zugegeben, es war ein eines für Anfänger, weil es ausser einem abschüssigen Schneefeld keine exponierten Stellen gibt. Doch weil ich nicht schwindelfrei bin, war ich dennoch angeseilt, damit ich mich sicherer fühlte. Das sorgt für heiteres Gelächter in der Runde. Mir egal. Dank der Tierberglihütte weiss ich nun, dass kein Berg an mir vorbeikommt!

 

Nützliche Informationen

Hüttenweg Sommer: Juni bis Oktober. Ab Hotel Steingletscher (Postautohaltestelle) via Steinsee und Umpol auf blau-weiss markiertem Wanderweg zur Tierberglihütte. Dauer: 3 Std. Bis Umpol ist der Weg asphaltiert. Oder auf gebührenpflichtiger Strasse bis Umpol und von dort zur Tierberglihütte. Dauer: knapp 2 Std. Schwierigkeitsgrad: T4.

Klettersteig: Ein interessanter Hüttenweg führt über den aussichtsreichen und natürlichen Klettersteig. Der Klettersteig Tierbergli kann als Tagestour oder mit anschliessender Übernachtung in der Tierberglihütte geplant werden. Der Klettersteig befindet sich in alpinem Gelände. Schwierigkeitsgrad: K3 C.

www.tierbergli.ch

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