Tal um Tal, Plateau um Plateau

Blick über einige der besten Weinlagen im Klettgau: Chilchhof Wilichingen (vorn) sowie Rötiberg und Wilchinger Berg (hinten).

Wer überhaupt eine Ahnung vom Jura hat, der war vielleicht schon mal in den Freibergen oder auf dem Weissenstein oder beim Creux du Van. Aber den ganzen Jurabogen von Schaffhausen bis Genf erkunden – das kann man auf der durch sechs Regionalpärke führenden La Route Verte.

Schaffhausen als wenig bekannter Ausgangsort ist gewiss eine Anreise am Vortag wert; so kann man sich auch frühzeitig auf die lange Startetappe begeben. Schon bald lohnt sich ein kurzer Abstieg- und Aufstieg abseits der Route: In Neuhausen zum diesen Sommer besonders tosenden Rheinfall und in Beringen zum Randenturm. Das Landschaftsbild des Klettgaus im Regionalen Naturpark Schaffhausen ist geprägt von saftig grünen Weinbergen, urchigen Rebhütten und traditionellen bis modernen Weinkellereien. Wer hätts gedacht: Von Gächlingen über Hallau bis Trasadingen erstreckt sich der grösste zusammenhängende Rebberg der Deutschschweiz, herrlich zu überschauen vom Wilchingerberg. 
In Zurzach lockt die Therme für einen Wellnessstopp, doch weil wir erst Halbzeit haben, gilt es weiterzuradeln. Zwischen Turgi und Brugg passieren wir das «Wasserschloss der Schweiz», den Zusammenfluss von Reuss und Limmat in die Aare. Im Wasserschloss kommt das Wasser aus 40 Prozent der Gesamtfläche der Schweiz zusammen. Den Kulminationspunkt des Tages erreichen wir bei der 800-jährigen Linner Linde, einem bekannten Kraftort.

Knackige Aufstiege im Tafeljura

In Herznach kann in einer der ungewöhnlichsten Unterkünfte übernachtet werden: Der Siloturm des einstigen Erzbergwerks wurde zu einem originellen Bed and Breakfast ausgebaut. Hochstammbäume prägen die Landschaft des Jurapark Aargau. Im Gegensatz zu kurzlebigen Niederstämmern beherbergen die knorrigen Hochstamm-Riesen ganze Ökosysteme und tragen zu einer grossen Artenvielfalt bei. Im knackigen Aufstieg hinter Wittnau lernt man erstmals die unablässigen Sticheleien des Tafeljura kennen, der sich als weitherum unbekannter Landstrich quer durch den Aargau, das Baselland und das Solothurnische hinzieht: Nach einem nahrhaften Stich ein Plateau zum Ausruhen, eine Sausefahrt und bald der nächste Stutz ... Wer noch Zeit hat, kann sich kurz vor dem Etappenziel Balsthal zur Entspannung buchstäblich auf den Holzweg begeben, eine der Attraktionen des Naturpark Thal: Ein Erlebnispfad, auf dem sich Wald und Holz auf künstlerische und spielerische Art erleben lassen.

Über die Sprachgrenze

Mit der heutigen dritten Etappe wechseln wir vom Tafel- zum Faltenjura. Gleich nach dem Start durchqueren wir die erste mächtige Klus. In Mümliswil wartet aber schon eine Pflichtpause: Das Museum Haarundkamm, ein Zeuge der einstigen Blüte von Handwerk und Industrie in der Region. Die Kämme wurden auf der ganzen Welt verkauft. Auf dem Passwang erreichen wir den ersten von drei Pässen, und nach der Durchquerung des oberen Laufentals die Sprachgrenze: Wir sind im Kanton Jura. Auf dem Col des Rangiers wurde während des Jurakonflikts das Soldatendenkmal Le Fritz mehrmals demoliert, weil die Separatisten in ihm ein Symbol der «bernischen Besatzung» sahen.
Das historische Städtchen St-Ursanne ist mit seinen Stadttoren ganz bildlich das Tor zum Parc régional du Doubs. Der heutige Tag steht im Zeichen des Pferdes und der Räder, Windräder. Schon bald nach Erreichen des Plateaus auf gut 900 Meter öffnet sich die typische Landschaft der Franches Montagnes: Wytweiden, mit Nadelbäumen durchsetztes Weideland, auf dem die Freiberger Pferde in Halbfreiheit leben. Mit Beginn des saftigen Schlussaufstiegs zum Mont-Soleil betreten wir den Parc régional Chasseral, leider verleihen die Windräder keinen Extraschub; bis hinüber zum Mont Crosin steht der grösste Windpark der Schweiz.

Asphalt und Alkohol

Der fünfte Tag verheisst mindestens von der geringsten Zahl Höhenmeter (574) eine Spazierfahrt. Wir wechseln vom Höhenzug Montagne du Droit in die coupierte Geländekammer Entre deux Monts und ins topfebene Vallée des Ponts hinunter. Noch eine Stufe tiefer erreichen wir bereits das Val de Travers. Es ist neuerdings bekannt als Ausgangspunkt zum Creux du Van, doch eine viel längere Berühmtheit hat es durch die einzige Schweizer Asphaltmine La Presta (heute ein Museum, direkt an der Route), die jahrzehntelang führenden Fahrradkomponenten Edco aus Couvet und natürlich «die grüne Fee», den Absinth.
In der Tat hatte der Absinth mit der ursprünglichen Rezeptur eine berauschende Wirkung (dank einer Substanz im Wermutkraut, einem der Hauptbestandteile), weshalb er von 1910 bis 2005 offiziell verboten war, als illegal destillierte grüne Fee aber gleichwohl die Runde machte. Im Maison de l’Absinthe in Môtiers wird die Geschichte rund um das lange verbotene Elixier szenografisch eindrücklich inszeniert. Höchste Zeit, weiter zu pedalen, wieder Höhe zu gewinnen. Ist schon das Val de Travers für Durchschnittsschweizerinnen und –schweizer entlegen, so fühlt man sich in der Hochmoorlandschaft bei L’Auberson definitiv «au bout du monde».
In seltsamem Kontrast dazu stehen in diesem Niemandsland nahe der französischen Grenze Bunker, Panzersperren und die kaum ansteigende Militärstrasse über den Col de l’Aiguillon als Weltkriegsrelikte. Als Tagesbelohnung winkt am Lac de Joux ein Bad im erstaunlich warmen Wasser; als Schlechtwettervariante lockten in Vallorbe die imposanten Grotten.

Uhren und Käse

Im Vallée du Joux sind wir definitiv im Tal der edlen Uhrenmanufakturen angelangt: Blancpain, Breguet, Jaeger-LeCoultre und noch rund 20 weitere. Bei Audemars Piguet kann man das schon architektonisch eindrückliche Musée Atelier besichtigen. Ohne Voranmeldung zugänglich ist der Espace Horloger in Le Sentier. Uns lockt aber schon bald wieder der Ruf der Höhe – «das Dach der Tour», kurz vor dem Col de Marchairuz, im Herzen des Parc régional Jura vaudois. Hier erwartet uns auch der letzte kulinarische Höhepunkt, die Alpkäserei Pré de Bière. Wie noch in einer Handvoll weiteren «Chalets » werden hier jeden Tag mehrere Laibe Gruyère d’alpage AOP hergestellt. Auf der 8 km langen Fahrt durch die leicht abfallende Combe des Amburnex erlebt man nochmals eindrücklich die typischen Trockensteinmauern, welche die Wytweiden unterteilen. Diese jahrhundertealten Mauern haben eine grosse Bedeutung für die Biodiversität und werden heute wieder verstärkt unterhalten.
Mit den ersten Rebbergen schliesst sich der Kreis, der sich im Klettgau und Fricktal auftat. Zum Schluss doch noch mal ein Kränzchen an die Routenführung: Erstaunlich, wie man sich auf Schleichwegen durch Felder und lange Wälder ohne grosse Agglomerationsberührung quasi von hinten Genf anpirschen kann. Erst kurz vor dem Ortsschild muss man in die mehrspurigen Autokolonnen einfädeln ...

Peter Hummel ist freischaffender Bildjournalist und passionierter Velofahrer.

Die Kulinarik

Die Pärke wollen mit La Route Verte den Gästen nicht nur die weniger bekannte Landschaft des Jurabogens näherbringen, sondern auch das vielfältige Natur-, Kultur- und Kulinarikerbe. Auf jeder Etappe gibt es Gelegenheit, lokale Erzeugnisse zu verkosten oder zu erwerben und damit die regionalen Produzenten zu unterstützen.
Unsere Auswahl: Drehers Fine Food in Schaffhausen: Die «Ginger Lady» produziert ein unglaubliches Sortiment an Feinkost-Produkten; Bahnhoflädeli Löhningen; Kellerei Rötiberg: Der Umweg über Wilchingen ist ein Muss – die attraktive Kellerei ist die einzige im ganzen Chlättgi, die sechs Tage die Woche geöffnet hat; Jurapark Aargau: Gnuss vo do in Herznach; Obstbau Bründler in Wittnau; Aux Couleurs du Terroir in Montfauçon; Les Caves du Pélerin in Les Charbonnières.

Wichtige Informationen

Die Idee der La Route Verte 
Um sich gemeinsam als Destination für sanften Tourismus zu positionieren, haben sich die sechs Regionalen Naturpärke des Jurabogens mit rund 20 Tourismusorganisationen zusammengeschlossen und La Route Verte entwickelt, koordiniert vom Netzwerk Schweizer Pärke. Sie soll ein neues nachhaltiges touristisches Erlebnis bieten, das für Biodiversität und Regionalität sensibilisiert und gleich noch eine Brücke zwischen der französischen und der deutschen Schweiz schlägt.
Ähnlich wie bei der Herzroute, der andern landesquerenden und «privat» initiierten Tour, war auch bei La Route Verte die landschaftlich attraktivste und nicht etwa höhenoptimierte Routenführung die Maxime; auf der 468 Kilometer langen Strecke sind nicht weniger als 8500 Höhenmeter abzustrampeln. Sie ist in sieben Etappen unterteilt und führt mehrheitlich über das Netz von Veloland Schweiz. Im Gegensatz zur Herzroute hat sie allerdings keine eigene Nummer bekommen und zwischen Zeihen und Rothenfluh verläuft sie auf gut 20 Kilometern auf gar keiner Veloroute. Leider durften die Pärke diesen weissen Fleck nicht mit eigenen Schildern in Velolandsystematik signalisieren, lediglich einige wenige unscheinbare Hinweistafeln sind angebracht. Einen gedruckten Führer gibt es nicht, dafür ist die Route online sehr gut dokumentiert mit detaillierten Informationen, Tipps und Kartenausschnitten.

Die Etappen der La Route Verte:
Die offiziellen Etappenlängen betragen 46 bis 82 Kilometer. Mit den meist zwischen 1200 und 1700 Höhenmetern, die pro Tag zu bewältigen sind, reicht eine Akkuladung nicht, wenn man sich nicht nur im Eco-Modus abstrampeln will; mindestens einstündiges Nachladen will also eingeplant sein. Ideal dafür geeignet sind die pittoresken alten Städtchen Brugg, Liestal und Delémont, wo sich auch hervorragende regionale Museen befinden.

Optimierungen:
Mit ein wenig Kartenstudium lassen sich etliche Etappenabschnitte – die etwa aus (Durchfahrt-)rechtlichen Gründen über Hauptstrassen verlaufen – wesentlich optimieren: Von Mümliswil über Reckenkien zum Passwang; von Delémont über La Haute Borne zum Col des Rangiers; von hier lässt sich auch die 20 Kilometer lange «Ehrenrunde» nach St-Ursanne auf mehreren Wegen abkürzen; oberhalb von La Sagne über Grand Sommartel statt schon früh ins Vallée des Ponts abfahren; statt nach dem Col de l’Aiguillon 600 Höhenmeter nach Baulmes hinunter zu vernichten, Panoramafahrt über den Grand Bel Coster (wäre mit 1390 Meter inoffizielles «Dach der Tour»); wer sich auf ein abendliches Bad im Lac de Joux freut, umgeht ab Vallorbe mit dem Zug den waldigen Aufstieg; 8 Kilometer «Singletrail» entlang der linken Seeseite mit vielen lauschigen Badeplätzen statt Hauptstrasse über Le Lieu; dann ist man auch auf der richtigen Seite, um eingangs L’Orient auf einem geteerten Alpsträsschen statt der Marchairuz-Passstrasse die letzten Anhöhen zu erklimmen.

Veranstalter:
La Route Verte kann bei Eurotrek gebucht werden. Das Pauschalangebot ab Fr. 1069.− beinhaltet sieben Übernachtungen (zusätzlicher Etappenhalt in St-Croix) und Gepäcktransport. Wer auf diese Annehmlichkeit verzichten oder kurzentschlossen reisen will, findet womöglich in zahlreichen Bed and Breakfasts Unterkunft, da die spärlichen Hotels im Jurabogen seit letztem Jahr oft ausgebucht sind. La Route Verte und Eurotrek bieten auch vier- bis fünftägige «Genussrouten» an: «Weinreben & Obstgärten» (Schaffhausen–Delémont), «Höhen & Horizonte» (Delémont–Couvet), «Seen & Wälder» (Couvet–Genf).

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