Über den Mittelmeer-Balkon

Beim Abstieg vom Monte Bignone nach Ceriana macht der Sentiero Balcone Mediterraneo seinem Namen alle Ehre.

Einzig das Meer mochte nicht mitspielen. Es hätte fotogen blau heraufleuchten sollen zu den Hügelzügen im Hinterland von Ventimiglia und Sanremo. Unserer Winterwanderempfehlung tut das keinen Abbruch.

Wir kamen nur bis zum Ponte Paù. Zu heiss war es am 1. Oktober 2023, um unsere Erkundungstour durchs Tal des Wildbachs Barbaira fortzusetzen. Die Brücke überspannt diesen gut 300 Höhenmeter ob Rocchetta Nervina (230 m ü. M.), und wir zögerten keinen Moment, zum Becken hinunterzukraxeln, in dem man selbst nach Trockenperioden wie in jüngster Zeit ein paar Züge schwimmen kann. Wassertemperatur: wohl noch gut 15 Grad.

Noch besser kam es im Abstieg, beim kurzen Abstecher zur Cin-Brücke: Was für ein Farbenspiel, welch eine Erfrischung – und das tiefe 20-Meter-Becken mit Sprudelbad- Zufluss erst noch für uns allein! Die Canyoning- Gruppen, die hier in die Schlucht einsteigen, waren bereits weg. Und die meisten, die in der Barbaira baden wollen, nehmen den ufernahen Weg, der von Rocchetta aus innert Kürze zu hübschen Gumpen führt. Doch auch abseits des Bachs fasziniert das Tal: mit Felswänden, seiner Flora, den Relikten landwirtschaftlicher Nutzung. Bei der einen oder andern Trockensteinmauer täte eine Auffrischung Not.

Auch wenn wir also nicht bis zur Fontana Povera beziehungsweise zum Passo della Colomba (beide circa 1170 m) aufgestiegen sind: Schöner als entlang der Barbaira gelangt man garantiert nicht nach Rocchetta, diesem Schmuckstück von Bergdorf mit hohen, ineinander verschachtelten Häusern, verwinkelten Gässchen, kleinen Plätzen, einem Flussufersteg – und dem Gasthaus Pecora Nera, das leider kein Zimmer mehr für uns hatte und ab Mitte September nur noch Bett und Frühstück offeriert. Über Airbnb fanden wir bei Matteo eine gefällige Bleibe, und zum Glück sind auch in der Küche des Restaurants Rio Barbaria sehr tüchtige Leute am Werk. Ferien machen sie dann im November.

Eindeutig lieber im Januar als im Juli

Hergekommen waren wir vom ebenso schmucken Airole (150 m) im Royatal, über den Sentiero Balcone Mediterraneo S.B.M. Im Gelände ist er nicht durchgehend als solcher bezeichnet. Dann und wann identisch mit dem Weitwanderweg Sentiero Liguria SL, lässt er sich vielfach mit anderen Routen kombinieren. Bevor wir nach Rocchetta aufbrachen, nahmen wir in Gegenrichtung den S.B.M.-Abschnitt hinüber ins Beveratal in Augenschein. Ergebnis: Die von uns vor bald 20 Jahren angepriesene drei- bis vierstündige Rundtour Airole–Torri–Airole, hin auf dem S.B.M. und retour am andern Flussufer bis Collabassa, bleibt ein erstklassiger Geheimtipp. Ausser dem ersten Wegweiser ist einiges gar in besserem Zustand als damals.

Mittagsrast. Dann auf zur Bassa d’Abellio (752 m), hoch zur Krete zwischen Roya- und Nerviatal. So prächtig Natur und Aussicht hier sind, so wenig Schatten spendet die Vegetation: Lieber im Januar als im Juli! Den wegen eines Erdrutschs gepfadeten und markierten, mühsamen Umweg, steil hinauf und wieder hinab, kann man sich getrost sparen – und dafür die bald folgenden Becken mit kristallklarem Quellwasser umso länger geniessen.

Nicht zu überzeugen vermag der S.B.M. zwischen Bassa d’Abellio und Rocchetta: zu viel Tuchfühlung mit Macchia-Gestrüpp, zeitraubender als angegeben, mässig gut markiert. Allein unser Bauchgefühl leitete uns da, wo man wieder offenes Gelände betritt, hinauf aufs Strässchen Richtung Rocchetta. Das nächste Mal nehmen wir die Zusatzstunden – insgesamt sind es dann rund sechs statt deren vier – noch so gern in Kauf und gehen von der Bassa d’Abellio über die Alta Via dei Monti Liguri AV bis zum erwähnten Colombapass.

Ein atemberaubendes Stück Ligurien

Den Apéro nimmt man in Rocchetta auf dem belebten Dorfplatz. Roberta serviert ihn und schenkt uns die Wanderkarte des Parco Alpi Liguri sowie einen Wanderführer gleich noch dazu. Später bietet sie uns an, uns tags darauf mitzunehmen, sie fahre ohnehin nach Ventimiglia.

Nach Dolceacqua (50 m), an unseren Startpunkt, käme man übrigens auch von der Bassa d’Abellio, via SL-Variante. Wir sehen uns kurz um und sind nicht nur von der Bogenbrücke angetan, der Claude Monet zu Weltruhm verholfen hat, sondern auch vom Stadtteil unterhalb des Castello Doria. Düster wie in einer Festung ist es teils im Gassengewirr. Aber es blüht auch kulturelles Leben, und zwei Agriturismi, die da ausgangs des Vallone degli Orti städtischen Boden beackern, versprechen kulinarisch Hochstehendes.

Hinter dem Schloss beginnt der Wanderweg. Zunächst dank Macchia und gepflegten Olivenhainen sehr reizvoll, führt er dann etwas gar lang über Teer nach Perinaldo (570 m). Nun, das mittelalterliche Dorf mit Sternwarte, das seine jüngere Geschichte und sein Musikfestival mit unzähligen Fotografien an den Hauswänden feiert, ist von Ventimiglia aus per Bus werktags gut erreichbar. So würde aus unserer 7- eine 5-Stunden-Wanderung.

Vorne das Meer, hinten die Ligurischen Alpen: Perinaldo liegt atemberaubend schön. Im Winter wird man wohl eher einen sonnigeren Weg wählen, als es der S.B.M. ab hier ist, zum Beispiel Richtung S. Bartolomeo, oder aber nur bis San Romolo (Bus nach San Remo) gehen. Wir aber nehmen, dank Bar DiVino E… und Dorfladen gut gestärkt, den nicht nur von Sendemasten, sondern auch einer Panoramatafel gekrönten Monte Bignone (1299 m) in Angriff, am Schluss durch Buchenwald. Grasland, mächtige Eichen und Dornenhecken prägen den Abstieg nach Ceriana (370 m), auf dem der Wegverlauf nicht immer eindeutig, die Zeichen aber sehr zahlreich sind. Gleich unterhalb der Kapelle San Giovanni ist der Einstieg in den waldigen letzten Teil.

Kleine Hommage an einen Buschauffeur

Auch Ceriana, das vermeintlich letzte Bergdorf auf unserer Tour, schlug uns in seinen Bann. Dann aber kamen wir unversehens auch noch nach Bajardo, das wir aus der Ferne bewundert hatten. Wann er nach Sanremo zurückkehre, fragten wir einen Buschauffeur. Wir sollten doch einfach einsteigen, meinte er. Gefühlte 1000 Kurven hinauf nach Bajardo also, gratis natürlich. Ankunft im magischen letzten Tageslicht. In der Pause Tratsch über Land und Leute, den Wolf, die Pilzsaison. Wieder in Ceriana, kümmerte sich en passant um einen betrunkenen, verloren dasitzenden jungen Mann: ein Wortwechsel durch die geöffnete Bustür, anschliessend ein Telefongespräch, fahrend natürlich, mit einem möglichen Helfer. Wir wähnten uns auf dem Kleinbussitz im Kinosessel, und verabschiedet wurden wir per Handschlag.

Praktische Informationen

Anreise und Startbasis: via Turin nach Cuneo, mit der Tendabahn nach Breil-sur-Roya;
www.labonneaubergebreil.fr (nomen est omen!), Zug nach Airole um 8.42 Uhr. IGC-Wanderkarte 14
Sanremo Imperia Monte Carlo, 1:50 000. Sie umfasst nahezu den ganzen S.B.M., von der Grenze zu
Frankreich bis zum Abstieg vom Pizzo d’Evigno Richtung Cervo (vgl. VCS-Magazin 1/2020).
Busfahrpläne: rivieratrasporti.it – Tascabile Vallate Sanremo / Vallate Ventimiglia / Urbano Sanremo
www.parconaturalealpiliguri.it.

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