Vom Simelibärg bis zur Sense

Blick vom Guggisberg auf die Sense, die sich nach jedem Hochwasser neue Wege bahnt.

Fast jedes Kind kennt das Lied «S’Vreneli ab em Guggisberg». Wir begeben uns auf Spurensuche dieses berühmten Ohrwurms. Und weil die Sense so nah liegt, entdecken wir auch den wildesten Fluss der Schweiz, wo Biber, Gämsen und Felsenbrüter heimisch geworden sind.

Dort unten muss er gewohnt haben, der Simes Hans-Joggeli. In einem der Höfe auf der Schattenseite von Guggisberg – eben änet dem Bärg. Welcher es genau ist, weiss niemand so genau. Irgendwo im Weiler Walehus jedenfalls, so hat es uns Theres Aebischer zuvor im Vreneli-Museum erzählt. Das Vreneli ab em Guggisberg wird wohl so manchen Moment hier oben verbracht und sehnsüchtig nach ihrem Geliebten Ausschau gehalten haben.
Wir befinden uns mitten im Geschehen rund um das bekannte Schweizer Volkslied «S’Vreneli ab em Guggisberg»: nämlich zuoberst auf dem Guggershörnli, das im Lied den Simelibärg darstellt. Mutig haben wir auf dem Gipfel die Holztreppe bis zur Plattform bestiegen und geniessen nun einen wunderbaren Rundblick übers Vreneli-Land. Vom Dorf Guggisberg auf über 1100 Metern über Meer aus erreicht man den Aussichtspunkt in gut einer halben Stunde. An sich keine Sache, aber es geht gäch hinauf. Wenn man das letzte Stück im Zickzack durch den Wald wandert, hat man nämlich bereits 140 Treppenstufen in den Beinen, die am Fuss des Guggershorn angelegt sind.

Sie kommen sogar aus Amerika

Auch heute noch zieht der Ort im Naturpark Gantrisch dank dem Vreneli so manche Touristen an. Als wir uns nach der Kurzwanderung im «Sternen» mit einem Vreneli-Teller verpflegen, spuckt ein Car gerade ein paar Dutzend Rentner aus. «Sogar aus Amerika kommen sie manchmal», erzählt Theres Aebischer, die als Freiwillige im Dorfmuseum arbeitet. «Nicht immer nur wegen dem Lied.» Weil das Gebiet sehr arm war, wanderten viele Guggisberger ab dem frühen 18. Jahrhundert aus. 15 000 auswärtige Guggisberger sind heute im Bürger-Register eingetragen. Das grossflächige Dorf selbst zählt nur noch 1550 Einwohnerinnen und Einwohner.
Theres Aebischer, durch Heirat wieder in ihren Bürgerort zurückgekehrt, gefällt es hier – auch wegen dem Vreneli. «Das Lied berührt mich immer noch sehr», gesteht sie. Besonders die Versionen von Steff la Cheffe oder Stephan Eicher mag sie, aber auch das Original. Und dann ist sie schon mitten im Erzählen dieser tragischen Liebesgeschichte, die sich um 1670 abspielte und Basis für das Lied war. Weil Vrenelis Vater früh verstarb, wollte ihr Beistand, der Gemeindeammann, sie mit seinem Sohn verheiraten. Das Vreneli jedoch hatte ihr Herz bereits an Simes Hans-Joggeli verschenkt. Der Sohn war beleidigt und passte Hans-Joggeli ab. Es kam zu einem Kampf, bei dem Vrenelis Geliebter seinen Nebenbuhler niederschlug. Weil er glaubte, ihn getötet zu haben, floh er als Söldner nach Frankreich. Doch der Sohn des Gemeindeammanns überlebte, erzählte jedoch aus Scham niemandem von der Rangelei. So wartete Vreneli vergebens auf ihren Liebsten und wurde darob so krank vor Kummer, dass sie schon in jungen Jahren verstarb. 

Vreneli ist überall

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Geschichte stimmt, ist gross. So findet man in den Pfarrbüchern tatsächlich einen Eintrag, der auf Hans-Joggeli schliessen lässt. 92 Jahre alt soll er geworden sein. Dies alles lässt sich im Vreneli-Museum nachlesen, das 1998 entstand. Es ist gleichzeitig auch ein Wohnmuseum und zeigt neben alltäglichen Gegenständen und neuerdings einer Trachtenpuppen-Sammlung das gesamte Interieur der letzten Bewohnerin Rosina Glaus.
Im Vreneli-Dorf – wie die Guggisberger ihren Ort stolz nennen – stösst man immer wieder auf die traurige Liebesgeschichte. Nicht nur im Wappen ist das Vreneli verewigt, auch eine Statue schmückt den Brunnen vor dem Museum, und in der reformierten Kirche hat Max Brunner das Schicksal vom Vreneli und vom Hans-Joggeli in einem farbigen Kirchenfenster dargestellt. 

Der wildeste Fluss der Schweiz

Natürlich darf auch ein Vreneli-Weg nicht fehlen. Wir aber haben ein anderes Ziel für unsere nächste Wanderung: Von Guggisberg entlang der wilden Sense bis nach Plaffeien. Dazu nehmen wir den direkten Wanderweg, der teilweise auf dem Vreneli-Weg verläuft. Ab dem Dorf geht es zuerst Richtung Willemannsacker über Wiesen und an Waldrändern und einsamen Höfen vorbei. Bald schon gelangt man auf einen Waldweg. Ab Hattenmatt führt der Wanderweg leider mehrheitlich über Asphalt, kurz vor der Guggersbachbrugg auch entlang der Hauptstrasse. Doch ennet der Brücke erwartet uns wieder ein angenehmer Naturweg. Hier treffen wir auf Stefan Steuri, Ranger im Naturpark Gantrisch, der uns ein Stück begleitet. Kurz nach der Kläranlage wird es richtig wild und wir befinden uns mitten in einer natürlichen Auenlandschaft mit Weiden und der mäandernden Sense. «Die Sense ist wohl der wildeste Fluss der Schweiz», meint Steuri stolz. «Nach einem Hochwasser sieht hier alles wieder ganz anders aus.»
Zum Glück haben wir prächtiges Wanderwetter erwischt. Dennoch sieht man gut, wie die Natur hier arbeitet – und die Tiere. Wir stehen plötzlich vor einer kleinen gestauten Wasserfläche. «Das war der Biber», erklärt der Ranger und zeigt auf die angeknabberten Baumstrünke. «Das Sense-Gebiet ist ein Paradies für den Biber, hier kann er stauen und wüten, wie er will – und tut dadurch erst noch viel Gutes für die Biodiversität.» 

Ein schöner Umweg

Kurz verlassen wir den Wanderweg und gehen ein paar Schritte in die Ebene, wo der Laubbach und der Dütschbach in die Sense fliessen. Dazu überqueren wir ein paar Furten, bahnen uns einen Weg durch die Weidensträucher und gelangen zum Hauptfluss, der gerade nicht sehr viel Wasser führt. Steuri packt den Feldstecher aus und guckt Richtung Felswand, wo ein guter Platz für nistende Felsenbrüter wie Wanderfalken, Felsenschwalben oder Kolkraben sein könnte. Das Sense-Gebiet, das seit 1966 unter Naturschutz steht, beherbergt eine hohe Artenvielfalt.
Um wieder auf den Wanderweg zu gelangen, müssen wir uns durch stachelige Büsche kämpfen. Doch der Ranger kennt sich aus und schon bald sind wir wieder auf dem offiziellen Weg. Nur leider können wir die geplante Route entlang der Sense nicht fortsetzen. Ein kürzliches Unwetter hat den Wanderweg unpassierbar gemacht, sodass wir bei Füllmattli durch den Campingplatz geführt werden. Doch der Umweg hat auch sein Gutes: Wir kommen dafür am Dütschbach-Wasserfall vorbei, der romantisch über den Felsen plätschert. So können wir uns in der Gischt gleich etwas erfrischen, bevor wir das Ziel in Plaffeien erreichen. Ein letzter Blick zurück hinauf nach Guggisberg – und schon dreht der berühmte Ohrwurm wieder.
 

Silvia Schaub ist freie Journalistin und Autorin. Das Reisefieber packt sie immer wieder – manchmal in ferne Länder, oft aber auch gleich um die Ecke. 
 

Praktische Informationen

Anreise: Per Zug von Bern nach Schwarzenburg und weiter mit dem Postauto 612 bis Guggisberg Post.
Wanderzeit: aufs Guggershörnli 1 Stunde hin und zurück; von Guggisberg nach Plaffeien 1 Stunde 35 Minuten.
Vreneli-Museum: Führungen und Besichtigungen nur auf Voranmeldung, Tel. 031 735 53 47 oder www.vreneli-museum.ch.
Unterkunft/Restaurant: Hotel-Restaurant Sternen, www.sternen-guggisberg.ch.
www.guggisberg-tourismus.ch
www.gantrisch.ch
www.wwf.ch/de/projekte/wildfluss-par-excellence-die-sense

|
Diese Seite wird nur mit JavaScript korrekt dargestellt. Bitte schalten Sie JavaScript in Ihrem Browser ein!
.hausformat | Webdesign, TYPO3, 3D Animation, Video, Game, Print