Von der Murg an die Ösch

Obwohl wir mittendrin sind im Mittelland, scheinen Siedlungsbrei und Verkehrsadern weit weg. Auf den Uferwegen zwischen Murgenthal, Aarwangen und Wangen an der Aare lässt es sich wunderbar wandern oder spazieren, baden und bräteln oder auch einfach da sein.

Die Murg. Der Name hat, wie uns Wikipedia lehrt, keltische Wurzeln und bezeichnet ein Gewässer an einer Grenze. Nebst dem Zufluss der Thur gibt’s «Murgen» z. B. am Walensee und in Baden-Württemberg. Auch hinter Morges stecke die keltische «Morgjä». Unsere Murg markiert heute die Kantonsgrenze zwischen Bern und Aargau – und ist gewissermassen eine Blenderin. Denn was trägt sie da, über lediglich zweieinhalb Kilometer, vom Oberaargau in die Aare, ins Aargauische hinunter? Kaum mehr als das, was die Langete und die Rot bis zu ihrer Vereinigung an Berner und Luzerner Wässern eingesammelt haben.

Wir überqueren beim Bahnhof Murgenthal die Hauptstrasse und sind nach wenigen Schritten auf dem Aareuferweg, der uns sofort für sich einnimmt. Mal verläuft er direkt am Wasser, mal oberhalb steiler Böschungen. Die Aare kommt heute in ihrem klassischen Türkis daher, das in einem fort changiert. Nach dem Flusskraftwerk in Wynau hat sie schon wieder gehörig Fahrt aufgenommen. Gerade da, wo die Murg einmündet, zeigt sie sich aber auch sanft und hat es seichte Stellen – und sandige. Vermutlich von Oma und Opa lassen sich zwei Kinder auf einer Bank eben mit Energienachschub versorgen, die Plastikschaufeln und -kesselchen im Natursandkasten müssen ganz kurz warten. Im kleinen Wald, den wir darauf durchqueren, steht das Clubhaus der Wynauer Pontoniere, von dem aus diese ihr sportliches Spiel mit der Aare treiben. Und am Waldrand vor Wynau wartet eine Feuerstelle; an einem dicken Ast baumelt eine Schaukel.

Spektakel am «Aarerank»

Zu unserer Rechten der Ufersaum, dessen Bäume und Sträucher eine kilometerlange Hecke bilden, zur Linken nun offenes Wiesen- und Ackerland. Vor uns liegt die auch kulturhistorisch interessante Hochzeitskirche Wynau. Wir schlendern durch die Idylle des Weilers; vom Friedhof geht der Blick zum Jura hinüber, auf die Klus von Balsthal. Und die Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Aare beweist auf einer Infotafel poetisches Talent: «Wo die Aare noch Fluss sein darf, wo sie rauscht, dir die ewige Geschichte erzählt vom Werden und Vergehen, dich träumen macht von fernen Zielen, wenn du dir Zeit nimmst, ihr zu lauschen …»

 

Tatsächlich gehört der Flussabschnitt zwischen Wolfwil und Wynau, der einzige nahezu unberührt gebliebene zwischen Bielersee und Rhein, zum Inventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung. Bewachsene Inselchen, Kiesbänke und der «Aarerank» oder «Aare-Cher» geben ihm das Gepräge. Die Wandfluh, ein unscheinbarer Hügel, hat dem Strom die Stirn geboten und zwingt ihn zu einem brüsken Knick. Er kommentiert dies geräuschvoll mit Stromschnellen. Auf der Innenseite aber, wo wir sitzen, fliesst das Wasser seitwärts und aufwärts, die 90-Grad-Kurve setzt ein gewaltiges Wirbelsystem in Gang. Immer wieder schäumt Wasser auf, kleine Wellen tanzen Ringelreihen, jagen einander nach, verebben langsam und lassen ein Geflecht von Linien zurück, das sich in der Spätnachmittagssonne violett vom übrigen Wasserspiegel abhebt. Magisch – und schon beginnt das Spiel von vorn. Werden und Vergehen im Minutentakt …

Abstecher ins Solothurnische

Wäre es schon Mitte April – und noch nicht Ende September – könnte man nun Ackermanns vom Restaurant Fähre in Wolfwil anrufen, um sich von ihnen auf dem Wasserweg auf Solothurner Boden befördern und bewirten zu lassen. Wir gehen weiter zum Flusskraftwerk Wynau (mit Fussgängerübergang), wo die Aare einst wasserfallmässig über Kalkfelsen mitten in ihrem Bett hinabstürzte. Erstmals werden wir etwas abgedrängt, verlieren unsere Protagonistin kurz aus den Augen. Der Weg aber bleibt gefällig, der Asphaltanteil verschwindend klein.

 

Schloss Aarwangen, auf der andern Strassenseite der «Bären», mit Terrasse zum Glück hinter dem Haus. Denn das Verkehrsproblem des Dorfs, in diesem Heft seit Jahren ein Thema, ist unüberseh- und -hörbar. Auf dem der Brücke angehängten Steg für den Velo- und Fussverkehr wechseln wir ans Nordufer, verblüffend rasch weicht der Motorenlärm dem stillen Strömen der Aare. Der Feldweg wird zum Trampelpfad: eine einzige Wonne – wären da nicht diese hohen Metallprofile gewesen. Ausgerechnet am Rand eines lauschigen Wäldchens mit besonders pittoreskem Flussufer, wo müde Bäume Äste ins Wasser hängen lassen oder umgestürzt darin liegen, wo keiner aufräumt, man der Natur ihren Lauf lässt. Nun müsste man sie einfach noch vor dieser monströsen Umfahrungsstrasse bewahren: Die Profile stehen für den nördlichen Brückenpfeiler, von dem aus sie zum Sprung ins Naherholungsgebiet Banfeld ansetzen soll.

Kleine Wiedergutmachungen

Wir ziehen am Kieswerk Risi und an Bannwil vorüber. Infotafeln vor dem Laufwasserkraftwerk Bannwil künden vom Vorhaben, bis 2024 einen Fischpass (mit Beobachtungsraum!) zu realisieren, um Wanderfischen das Leben zu erleichtern. Wir schauen spätestens dann vorbei, wenn es die Lachse über Basel hinaus wieder bis hierher schaffen.

 

Fast alle Freiheit hat der Mensch der Aare geraubt, nun gibt er immerhin ein bisschen etwas zurück. Gut zu sehen ist das oberhalb des Kraftwerks in den Naturschutzgebieten Vogelraupfi und Bännliboden. Die Übergänge zwischen den Lebensräumen im und am Wasser sind zum Nutzen vieler Tierarten wieder fliessender geworden. Mit ihrer Insel und der Auenlandschaft bildet die Vogelraupfi auch einen landschaftlichen Höhepunkt der Tour. Gegenüber mündet die Önz in die Aare, und das aufgestaute Wasser macht das Flussschwimmen hier fast zum Seebad.

 

Die letzte Wanderstunde ist nicht mehr ganz so reizvoll, trotz schöner Schilfgürtel und der nun nahen Jura-Kulisse. Und egal, ob man beim Walliswilsteg nochmals die Seite wechselt (eher ja, sagen wir) oder nicht, dem Waffenplatz Wangen a. A. entkommt man nicht. Umso schöner ist dann der Einzug in die mittelalterlichen Mauern des Städtchens. Es findet sich hier auch ein weiterer Wasserträger der Aare, die Ösch. Kein Fluss wie die Murg, nur ein Bach ist sie, dafür stolze 28 Kilometer lang. Wir haben heute immerhin gut halb so viel geschafft.

 

Urs Geiser ist Regioseiten-Redaktor und versteht das Ja des Berner Volks zur Umfahrung von Aarwangen weniger denn je.


Praktische Informationen

An-/Rückreise via Bahnlinie Olten–Langenthal (Murgenthal) bzw. Olten–Solothurn (Wangen a. A.). Busverbindung Wangen–Herzogenbuchsee–(Langenthal). Bahn ab Aarwangen Schloss nach Langenthal/Oensingen/Solothurn. Wanderzeit: 4 ½ Std., Murgenthal–Aarwangen 2 Std.

www.restaurant-faehre.ch

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