Wenn S. Giusto S. Polo liebt

Eine vierstündige, farbenprächtige Tour von Radda nach Castellina.

In einem zweiteiligen Porträt stellen wir eine Gegend vor, die als Weinbaugebiet Weltruhm geniesst – und voll wandertouristischem Potenzial steckt. Radda in Chianti ist dabei der Dreh- und Angelpunkt.

«Se fossi ricco, mi comprerei una casa in Toscana.» Nie haben wir den «Wenn-dann»-Merksatz aus dem Italienischunterricht vergessen, und wie wir auf der Piazza IV Novembre in Radda stehen, ist er wieder da. Ja, wären wir reich, könnten wir gleich das erste Objekt kaufen, das unsere Blicke auf sich zieht. Auf der mächtigen Stadtmauer thronend, macht es mit seinem kleinen Turm auf Schlösschen. Und nicht nur dort prangt ein «Vendesi»-Schild an der Haustür.

Doch wer die Via Roma betritt, die sich in zwei eleganten Bogen zum zentralen Platz beim Rathaus hinauf- und zur Piazza Dante hinunterschwingt, merkt sofort, dass das Hügelstädtchen zwischen Florenz und Siena keineswegs am Serbeln ist. Der Lebensmittelhändler Porciatti macht jedes Picknick zum Festmahl. Metzger-, ein Kleider- und ein Schuhladen, einer mit tausend Küchenutensilien, Weindegustationslokale, Restaurants und natürlich auch der Tabaccaio, der die Busbillette verkauft, all das und noch mehr bietet der mittelalterliche Kern. In einer halben Stunde hat man über ihn den vollständigen Überblick gewonnen.

Als wir 2019 erstmals da waren, nächtigten wir – sehr angenehm – im Palazzo San Niccolò neben der gleichnamigen Kirche. Dann entdeckten wir, dass das sofort zum Lieblingslokal erkorene «Da Giovannino» auch Zimmer vermietet. Ein Grund mehr, in der herbstlichen Corona-Pause zurückzukehren.

Die spontan erweiterte Rundtour

Eine anderthalbstündige Runde gemäss Wanderführer hatten wir als Erstes vorgehabt. Es wurden rund vier Stunden (s. Kasten) – zu frühlingshaft war der Tag, zu verlockend die Hügellandschaft. Auf einem Wegweiser stand, untereinandergereiht, S. GIUSTO/AMA/S. POLO. Grinsend blickten wir uns an: Wenn der Papst das wüsste. Aus dem Wald lugte der Turm einer Kirche herüber, San Giusto in Salcio. Von den Wunden, die sie erlitt, als die Nazis hier wüteten, wissen wir dank der Frau, die im Haus nebenan wohnt und eben die Kirchenpforte aufschloss, als wir ankamen. Seit beinahe 1000 Jahren ruht San Giusto in sich und der Natur, wie es romanische Bauwerke oft so einzigartig tun. 

Auf dem Vorplatz: eine Tafel, darauf die schematische Darstellung eines Wanderwegnetzes, von dem im Führer keine Rede ist. 10B oder 10C? Wir zogen los, über bequeme Wald- und Flurwege einer Krete entlang und durch ein Seitental, von Gutshof zu Gutshof mit Rebbergen und Olivenhainen, blickten in die Ferne Richtung Siena und ein paarmal zurück auf Radda, wie immer staunend, wie weit man zu Fuss innert Kurzem kommt. Höhe- und Wendepunkt der Runde, die wir drehten: S. Polo in Rosso, Schlosshotel mit Pfarrkirche und tagsüber öffentlich zugänglichem Garten. Keine Frage, das nächste Mal würden wir bis S. Sano, dem Dörfchen am Ende unseres Hügelzugs, weitergehen. Und in Ama vorbeischauen, dem Weiler mit Weinschloss.

Typisch Toskana, doch nicht nur

Der edle Ölbaum, die schlanke Zypresse – und die knorrige Eiche der Macchia, von Flechten überzogen, mit Flechtenbärten behangen: Das Chianti weitet die Toskana-Assoziationen. Stark bewaldet und von Wasserläufen durchzogen, birgt es überraschend viel Wildnis, so auch am Wanderweg von Radda nach Castellina, für den die Frühlingszeit ideal ist. Blau und grün leuchten dann Bachbecken herauf. Üppige Wasserpflanzen ragen aus der Sumpflandschaft.

Man verlasse sich dabei auf die Markierungen, nicht auf die hier eher verwirrliche Wanderkarte. Von Radda folgen wir einen Kilometer weit der Strasse und zielen geradeaus in eine Gasse, an deren Seitenmauer die ersten rot-weissen Helfer aufgepinselt sind. Im Wechsel zwischen halb offener Landschaft – «wie in Südfrankreich!» – und Buschwald zieht sich der Weg auf und ab durch den Hang, der Strasse ausweichend. Auf halbem Weg kreuzen wir sie und nehmen das Fahrsträsschen Richtung «Colle Petroso», tauchen aber nach wenigen Minuten, rechts hoch, schon wieder in die Natur ein. In weitem Bogen geht’s ins Tobel hinunter, über den Bach und rechts von ihm auf schmalem, aber gut begehbarem Pfad bis zu einer Lichtung.

Nach dem Holzsteg über einen Tümpel müssen wir kurz nach Zeichen suchen. Schräg aufwärts heisst die Lösung, bald stehen wir unter einem prächtigen Landgut. Durch ein Tor, das sich von innen öffnen lässt, gewährt es in gebührender Distanz zu Terrasse und Swimmingpool Wegrecht für unsereins. Noch kurz und steil die Strasse hinauf, hinab Richtung Colle Lungo, rechts ab ins Gebüsch: ein letztes schönes Wegstück und schon ist Castellina in Sichtweite. Was für eine Silhouette!

«Na, wie war’s», will Monica, die zusammen mit ihrem Bruder David das «Da Giovannino» führt, wissen, als sie uns eine Auswahl an Raddeser Bier bringt. Wir rühmen Weg und Ziel, aber klar: Radda bleibe die Nummer eins. «Come no!», lacht sie und zeigt auf das Uhren-Trio an der Wand, angeschrieben mit «Castellina», «Radda» und «Gaiole». «Radda» geht 20 und mehr Minuten vor.


Urs Geiser ist Regionalseiten-Redaktor des VCS-Magazins und sagt hiermit schlicht und einfach: «Auguri, forza, bella Italia!».

Praktische Informationen

Anreise per Bahn: bis Florenz oder Siena.

Busverbindung nach Radda: Mo bis Sa um 7, 13.30 und 17 Uhr ab Florenz (ab Busbahnhof beim Hauptbahnhof S.M.N.) und 7-mal zwischen 7.35 und 19.15 Uhr ab Siena (Bahnhofplatz).

Das Tourismusbüro in Radda: weiss im Zweifelsfall, welcher Bus ab welcher Haltestelle Richtung Florenz bzw. Siena fährt.

Kompass-Wanderkarte: 1:50 000 Firenze, Siena, Chianti, Rother-Wanderführer Toskana Süd.

Unterkunft: www.labottegadigiovannino.it/www.rosshotels.it

Appetizer: www.san-polo.net

Von Radda nach S. Polo und retour

Von der Strasse Richtung Gaiole in die Via del Convento. Zwischen Weinmuseum und Fussballplatz hindurch und über das Strässchen mit Lkw-Fahrverbot zum Bachlauf hinab. Rechts davon leicht aufwärts durch schönen Buschwald bis zur Einmündung in die Strasse nach Vagliagli. Hinunter in den Talboden (am abgebildeten Schild vorbei), über die Brücke und zur Kirche S. Giusto. Sobald auf der 10B-Route das Weingut Antinora sichtbar ist, scharf links vom Strässchen weg in den Weg oberhalb des Olivenhains. In Galenda angekommen, entweder geradeaus durchs Gut hindurch (Weg 68) oder nach rechts über die Krete bis Camporenni und von dort durch ein kleines Tal direkt nach S. Polo in Rosso. Über den Weg 68 lässt sich der Weiler S. Polo oder das Anwesen S. Polo in Rosso ansteuern. Rückkehr über die 10C-Route, die über den Rücken des Hügelzugs verläuft (ca. 1 km östlich von S. Polo) – anders, als die (hier sonst präzise) Wanderkarte glauben macht, abseits der Strasse.

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