#Veloinfrastruktur

«Das Problem sind die Lücken»

Nelly Jaggi – VCS-Magazin 3/2022

Rudolf Rechsteiner ist schweizweit als engagierter und faktensicherer Energiepolitiker bekannt. Unterdessen hat er seine Liebe zum Velo entdeckt und in Basel-Stadt die Initiative für sichere Velorouten angestossen.

Rudolf Rechsteiner, Sie engagieren sich für sicherere Velorouten in Basel, ist die Situation dort prekärer als anderswo?

Basel ist früher losmarschiert als Bern oder Zürich. Aber Bern hat heute das modernere Konzept und war für die Lancierung unserer Initiative eine grosse Inspiration. Auch den Grosserfolg in Zürich (mit dem Ja zu den Velorouten und zum Richtplan Verkehr, Anm. d. Red.) hatten wir vor Augen. Bei unserer Initiative geht es uns um Sicherheit auf dem Velo und natürlich um Klimaschutz.

Die Untätigkeit der Behörden in Sachen Velo ärgert Sie?

Es ging bisher einfach nicht vorwärts – und immer waren die Massnahmen nur punktuell. Heute besteht ein phantastisches Flickwerk, aber es gibt keine durchgehenden, sicheren Velorouten. Für Autos gibt es auf den Stadtautobahnen und auf dem Cityring viel Platz und Komfort, aber das schnellste, gesündeste, billigste und effizienteste Fortbewegungsmittel, das Velo, steht im städtischen Verkehr hintenan. Darum trauen sich viele Menschen gerade nicht aufs Velo und steigen lieber ins Auto.

Welches sind denn die grössten Sicherheitsdefizite?

Das Problem sind die Gefahrenstellen durch fehlende Velospuren und fehlende Markierungen. Das Velonetz existiert in Wirklichkeit nur auf dem Papier, ein grober Etikettenschwindel. Klar, es gibt in Basel auch Erfolge, zum Beispiel rund um den Bahnhof. Der Veloverkehr nahm deshalb deutlich zu. Aber es gibt keine Kontinuität bis in die Aussenquartiere, es gibt viele gefährliche Kreuzungen mit pro Jahr ein bis drei tödlich Verletzten und jede Woche einen Velounfall mit schweren Verletzungen. Gerade auf den Abschnitten ohne Velospur und mit vielen Parkplätzen sind mehrere tödliche Unfälle passiert. Die kantonale Verwaltung hielt sich bisher nie an ihre eigenen Richtlinien. Sie betrachtet diese als unverbindliche Empfehlung. Bei 80 Prozent aller Unfälle in Basel mit Verletzten, Schwerverletzten und Toten sind Velofahrerinnen und Fussgänger betroffen. Nur im Auto ist man sicher. Dem Auto verhelfen die Behörden seit Jahrzehnten zu mehr Strassenfläche.

«Das Velonetz existiert in Wirklichkeit nur auf dem Papier, ein grober Etikettenschwindel.»

Welche Massnahmen fordert die Initiative?

Damit das Velo genauso sicher ist wie das Auto, brauchen wir sicheren Strassenraum, das heisst: auf dem offiziellen Velonetz markierte Velospuren. Zusätzlich verlangen wir mit der Volksinitiative Velo-Vorzugsrouten in alle Quartiere von 2,4 Meter Breite pro Fahrtrichtung mit Vortritt fürs Velo – so wie in Kopenhagen oder wie im Berner Velo- Masterplan. Velokorridore entlang von Hauptstrassen sollten zudem durch Absätze oder kleine Poller geschützt werden. Auch an den Kreuzungen brauchen wir neue Lösungen: bessere Markierungen, mehr Raum, Über- und Unterführungen – auch damit Velofahrende Zeit sparen können. Man sollte prüfen, bestehende Fussgängerunterführungen zu erweitern und fürs Velo auszubauen, mit getrennten Spuren für Velos und Zufussgehende.

Damit sind wir bei der Entflechtung. Velo- und Fussverkehr auf gemeinsamen Flächen führt zu Konflikten. Gleich zeitig löst die Forderung nach Entflechtung auch bei den Autofahrenden Platzansprüche aus, ein Dilemma?

Ich bin gegen eine autofreie Stadt. Die Gesamtfläche, die der motorisierte Verkehr beansprucht, muss aber reduziert werden. Es ist vor allem der ruhende Verkehr, der enorm viel Platz wegfrisst, während viele Einstellhallen in Basel leere Plätze aufweisen. Die Parkplatzgebühren für unbeschränktes Parkieren in der blauen Zone sind lächerlich niedrig: 80 Rappen pro Tag für den Platz in der Grösse eines Kinderzimmers. Die Grundüberlegung der Entflechtung ist folgende: Mit sicheren Velospuren steigen mehr Menschen aufs Velo um, weil sie sich sicherer fühlen als bisher. Dann braucht es weniger Autos und auch die Autostaus und der Bedarf nach Parkplätzen nehmen ab. Das ist für beide Seiten vorteilhaft. Und die E-Bikes und Lastenvelos sorgen für Komfort auch an erhöhter Wohnlage. Darum gilt heute schon für viele Familien: Das Velo ist das neue Auto.

Das Veloweggesetz des Bundes ist unter Dach und Fach. Werten Sie es als ungenügend, um den Veloverkehr in Basel sicherer zu machen?

Das Veloweggesetz hat eine gute Formel: Velowege müssen zusammenhängend und ununterbrochen sein. Plant ein Kanton, muss er sich dazu aufraffen, echte Durchgangslösungen anzubieten. Diese sollen auch die schwierigen Stellen umfassen. Das Schlechte am Veloweggesetz ist in meinen Augen, dass es nur Kann-Formulierungen beinhaltet. Es gibt keinerlei Verbindlichkeiten: man kann das Velo weitere hundert Jahre mit Autos an den Rand drängen, ohne dass es eine rechtliche Handhabe gibt.

Wie stehen Sie zur Forderung einer nationalen Strategie, zu einem Masterplan Velo, wie ihn der VCS vorschlägt?

Geht es darum, vom Bund gewisse Instrumente zu erhalten, ist es sicher gut, sich zusammenzuschliessen. Für mich ist es aber primär eine Aufgabe der Zentren. Diese sollen besser fürs Velo erschlossen und mit dem Umland verknüpft werden. Das ist in aller Regel eine kantonale Aufgabe. In diesem Sinne bin ich mir nicht sicher, ob viel gewonnen ist, wenn man es beim Bund ansiedelt.

Ein grosses Problem sind die Abstände. Wer Velo fährt, erlebt jeden Tag Gefährdungssituationen, weil sich Autofahrende nicht an Abstände halten. Wenn der Bund ab gewissen Frequenzen Mindestbreiten für Velospuren vorschreiben würde, könnte viel erreicht werden.

An welchen Vorbildern sollten wir uns punkto Veloinfrastruktur orientieren?

Die Situation ist sicher in Dänemark oder Holland viel besser. Das hat mit der Aufteilung der Strassenflächen zu tun und damit, dass es breite Fahrspuren für Velos in beide Richtungen gibt – genau, wie wir sie jetzt für Basel verlangen: vom Zentrum bis an die Kantonsgrenzen. Und wenn möglich geht es im angrenzenden Kanton weiter.

Apropos Regeln: Auch Velofahrende halten sich nicht immer an die geltenden Regeln …

Das ist ein Problem, dies hat aber auch mit der geltenden Hackordnung zu tun. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Velofahrerin einen Autofahrer totfährt. Es ist immer umgekehrt. Sitzen Sie auf dem Velo und werden von Autos bedrängt, merkt das der Autofahrer manchmal nicht einmal. Das kann natürlich Aggressionen wecken. Ich finde aber, man sollte im städtischen Raum auch für Velos Tempo 30 durchsetzen. Für Fahren ohne Licht habe ich kein Verständnis und Fahren auf dem Trottoir finde ich falsch.

«Viele Leute legen sehr viele Kilometer im Auto zurück, die man perfekt mit Lastenvelos, E-Bikes, Velos oder Fussverkehr ersetzen kann.»

Aber weicht man oft nicht auch aufs Trottoir aus, weil die Strasse zu gefährlich ist?

Genau, aber daran sind auch die Behörden schuld. Man hatte lange Zeit gar nicht Die Behörden in Basel sind sehr kreativ, wenn es um den Schutz der Autofahrer geht. Sie haben jetzt zum Beispiel bestehende Velospuren in Tempo-30-Zonen wieder aufgehoben. Das ist ein Hohn. Und sie propagieren die zweiseitige Parkierung mit der Begründung, sie würde die Geschwindigkeit des Autoverkehrs reduzieren, etwa wenn Velos entgegenkommen und die Autos abbremsen müssen. Dass Velofahrende dabei zuweilen Panik erleiden, weil sie von breiten SUVs gegen die parkierten Autos abgedrängt werden, erschliesst sich der Verkehrspolizei offenbar nicht. Die Erwartungen an die Behörden sind natürlich sehr unterschiedlich und sorgen für politischen Druck. Die Autolobby ist in Basel ziemlich laut, aber ihre Extremforderungen sind nicht mehr mehrheitsfähig. Sie die Verkehrsdichte und sind viel effizienter. Viele Leute legen sehr viele Kilometer im Auto zurück, die man perfekt mit Lastenvelos, E-Bikes, Velos oder Fussverkehr ersetzen kann. Darum sollte das Velo – wie der öffentliche Verkehr – im städtischen Raum und in Agglomerationen Priorität haben und mehr sichere Strassenfläche und mehr durchgehende Vorzugsrouten erhalten.

Am 29. August war Rudolf Rechsteiner Gast in der VCS-Webinar-Reihe und sprach über eine umweltverträgliche Sicherstellung der Stromproduktion.

Das ganze Webinar finden Sie unter: www.verkehrsclub.ch/webinare

Nelly Jaggi

Beitrag aus VCS-Magazin 3/2022


Nelly Jaggi, Leiterin Kommunikation VCS

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