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Menschen als Menschen erkennen

Edward Weber – VCS-Magazin 3/2022

Die technologische Entwicklung hin zu selbstfahrenden Fahrzeugen schreitet voran und bringt neue Herausforderungen mit sich: Mensch und Maschine müssen lernen, miteinander zu kommunizieren.

Eine junge Frau auf dem Trottoir schiebt ihren Kinderwagen. Sie ist sichtlich irritiert und kann den Blick nicht von einem Auto abwenden, das soeben aus einem Parkfeld übers Trottoir fährt. Angestrengt versucht sie, im Inneren des Autos eine Person ausfindig zu machen. Die Frau nimmt unwissentlich an einem Realsituationstest in Thalwil (ZH) teil: Ein Auto mit automatisiertem Einparkassistenten wird immer dann aktiviert, wenn sich Fussgängerinnen oder Fussgänger dem Parkfeld nähern. Dabei beobachtet ein Mitglied eines Forschungsteams die Reaktion der ahnungslosen Passantinnen und Passanten. Angesichts der fortschreitenden technologischen Entwicklung automatisierter Fahrzeuge ist es dringend nötig, zu verstehen, wie Menschen auf selbstfahrende Autos reagieren. Während sich die ersten Schritte der Automatisierung – Tempomaten oder Assistenzsystem zur Notbremsung und neuerdings auch eine Tempobremse – bereits durchgesetzt haben, werden uns autonome oder selbstfahrende Fahrzeuge in Zukunft vor grosse Herausforderungen stellen. Eines der grössten Probleme ist dabei die Kommunikation zwischen Mensch und Auto.

Das Gegenüber ist eine Maschine

Wer zu Fuss unterwegs ist, interagiert derzeit über zwei Arten mit Fahrzeugen: Einerseits interpretiert er das Verhalten des Fahrzeugs – Geschwindigkeit, Richtungsänderungen etc. Andererseits verlässt er sich auf direkte Interaktionen mit der Fahrerin oder dem Fahrer mittels Gestik, Mimik und – seltener – mündlich. Die Irritation der Frau in Thalwil belegt dies eindrücklich: Sie suchte den Blickkontakt, um abschätzen zu können, ob vom Auto weiterhin Gefahr ausgeht. Entfällt die gewohnte Kommunikation, entsteht eine grosse Lücke. Damit kommen neue Sicherheitsrisiken auf uns zu. Diese zu beheben, wird nicht einfach sein.

Menschen als Menschen erkennen

Die erste Hürde auf dem Weg zu einer neuen Kommunikation ist eine rein technische: Das Auto muss Fussgänger und Velofahrerinnen zunächst überhaupt als Menschen erkennen. Weiter muss es deren Absichten einschätzen können, um entsprechend zu reagieren. Nehmen wir an, das automatisierte Auto in Thalwil hatte keine Mühe, die Frau auf dem Trottoir zu erkennen. Der Kinderwagen war hingegen durch ein anderes Auto verdeckt und für die Kamera unsichtbar: Das automatisierte Auto wird also lediglich die Frau in seine Aktion einbeziehen. Ein Mensch ist hingegen in der Lage, ein Gesamtbild zu rekonstruieren und sein Verhalten entsprechend anzupassen. Ungleich grösser ist die Herausforderung, Absichten vorauszusehen. Da sind Menschen den Maschinen immer noch weit überlegen.

Die Grenzen der Display-Kommunikation

Wie führt man neue Kommunikationsformen zwischen Mensch und Maschine ein? Eine Möglichkeit ist, dass Autos anderen Verkehrsteilnehmenden mittels Display kommunizieren, was diese tun sollen – was selbstredend neue Probleme mit sich bringt, da etwa die Adressatin oder der Adressat nicht eindeutig ist oder Sprach- und Lesekompetenz nicht vorausgesetzt werden können. Noch komplizierter wird es, wenn mehrere automatisierte Fahrzeuge in der Nähe sind und unterschiedliche Botschaften senden: Auf welche davon reagieren? Und was, wenn ich mit der Handlungsanweisung des Fahrzeuges nicht einverstanden bin? Im schlimmsten Fall kann die Kommunikation via Display der nonverbalen Kommunikation einer Person im automatisierten Fahrzeug gar diametral entgegenstehen und ein sicherheitskritisches Missverständnis auslösen: Das Display fordert auf, stehenzubleiben, die Person im Auto lächelt auffordernd. Der VCS setzt sich dafür ein, dass sich selbstfahrende Autos den Menschen anpassen, die zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs sind und nicht umgekehrt. Anders als Menschen, die künftig in selbstfahrenden Autos unterwegs sind, haben Fussgänger und Velofahrerinnen keine Entscheidung getroffen, an dieser grundlegenden Revolution im Verkehr teilzunehmen.

Beitrag aus VCS-Magazin 3/2022


Edward Weber, Projektleiter Mobilität der Zukunft

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