#Verkehrswende

Interview mit Benedikt Weibel

Nelly Jaggi – VCS-Magazin 2/2022

«Wir sollten bewusste Entscheide treffen und dabei den ökologischen Fussabdruck berücksichtigen», sagt Benedikt Weibel.
Was dabei hilft und warum klassische Nachtzüge ein Unsinn sind, erklärt der ehemalige SBB-Generaldirektor und Autor des Buches «Wir Mobilitätsmenschen» im Interview.

Benedikt Weibel, ich bin für dieses Interview mit dem Velo von Bern zu Ihnen in den Vorort Gümligen gefahren. Wie beurteilen Sie meine Verkehrsmittelwahl?

Es ist die beste – und auch die schnellste.

Welche Alternativen zum Velo hätte ich gehabt?

Die Tramstation liegt direkt neben dem Haus.
Das ist eine Frage, die ich mir dauernd stelle: Kürzlich habe ich auf Google Maps die Varianten für den Weg zur Klinik Sonnenhof geprüft. Mit dem öffentlichen Verkehr dauert es eine halbe Stunde, für die Reise mit dem Auto waren 13 Minuten angegeben, wobei ich da noch parkieren muss. Zu Fuss dauert es ebenfalls dreissig Minuten und mit dem Velo nur zehn Minuten. 
Das Velo ist in städtischen Verhältnissen oft die beste Wahl – auch weil man die Wege mit der Zeit kennt.

Im Grunde wäre es einfach, das richtige Verkehrsmittel zu wählen: Es soll effizient und umweltschonend sein, beides kann gemessen werden.

Noch besser als Velofahren ist das Zu-Fuss-Gehen, es ist am flächeneffizientesten. Ich nehme mir schon seit langem vor, jeden Tag 10 000 Schritte zu gehen, das sind sechs bis sieben Kilometer. Es gehört zum Wichtigsten, die Entscheidung für die Verschiebung wieder aus dem Unterbewusstsein hervorzuholen.
Erschreckend ist ja, dass 50 Prozent der Autofahrten kürzer als zehn Kilometer sind. Es gäbe nichts, um schneller eine CO2-Reduktion zu erzielen, als einen wesentlichen Teil dieser Fahrten auf den Fuss- und den Veloverkehr zu verlagern.

Das Auto ist mehr als nur Mittel, um von A nach B zu kommen. Es ist jederzeit verfügbar, erschwinglich, warm und bequem … Wer darauf verzichtet, muss schon sehr altruistisch sein.

Ich sage nicht, man muss auf das Auto verzichten.
Ich sage, man muss das Verkehrsmittel wählen, das sinnvoll ist. Wir sollten bewusste Entscheide treffen und dabei den ökologischen Fussabdruck berücksichtigen, um aus der gedankenlosen Bequemlichkeit herauszukommen.

Es ist auch eine Platzfrage. Gerade in Städten müssen wir die Verteilung des Platzes dringend überdenken.

Klar, in den Städten fokussiert sich die verkehrspolitische Entwicklung.
Die Städte haben in ihrer Geschichte verschiedene Entwicklungen erlebt. Zur ersten grossen Transformation kam es mit der Eisenbahn. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die autogerechte Stadt zum Modell, allerdings gab es noch eine zweite Entwicklung: die Funktionstrennung mit Zonen für Arbeit, Wohnen, Gewerbe und Industrie. Neuerdings ist von der Stadt der kurzen Wege die Rede. Damit kann man den Pendlerverkehr stark reduzieren.
Es ist ein Faktum, dass der verfügbare Verkehrsraum in den urbanen Gebieten beschränkt ist. Die Verkehrsmittel müssen gemäss ihren Stärken eingesetzt werden. In den engen städtischen Verhältnissen ist ein zwei Tonnen schweres Auto, das einen Menschen transportiert, ineffizient. Auch beim Parkieren braucht es viel Raum.
Die Verkehrsflächen in der Stadt sind primär für den öffentlichen Nahverkehr, fürs Velo und für die Fussgänger zu nutzen.

Bei der Autofrage tut sich ganz offensichtlich ein Stadt-Land-Graben auf, Benedikt Loderer spricht von der «Benzinschweiz». Haben die Menschen auf dem Land tatsächlich keine andere Wahl, als aufs Auto zu setzen?

Warum entwickelt sich die «Benzinschweiz»? Weil dort das Bauland günstig ist.
Die Leute kaufen Land und bauen ein Haus, sie haben ein Auto. Später haben sie zwei Autos und wenn die Kinder irgendwann zur Schule müssen, verlangt man die öffentlichen Verkehrsmittel. 
In den schwächer besiedelten Räumen ist das Auto unverzichtbar. Ich bin aber der Meinung, dass es auch dort einen öffentlichen Verkehr als Grundversorgung braucht, auch wenn er die Gesellschaft Geld kostet.
Bezogen auf die gesamten Kosten des öffentlichen Verkehrs fällt das nicht stark ins Gewicht.

Kommen wir noch einmal auf die per Auto zurückgelegten Distanzen zurück. Auch auf dem Land sind viele Wege kurz …

Absolut richtig, ich habe kürzlich in der «NZZ» gelesen, dass es in Städten im Durchschnitt alle 660 Meter eine Arztpraxis gibt. Auf dem Land steigt die Distanz auf 2,6 Kilometer Also benötige man ein Auto.
Das ist die absolute Gedankenlosigkeit. Gehe ich diese 2,6 Kilometer hin und zurück, mache ich noch nicht einmal 10 000 Schritte. Es wäre das Vordringlichste, alle diese kurzen Fahrten – die finden im städtischen und im ländlichen Gebiet genauso statt – durch einen Fussmarsch oder das Velo zu ersetzen.
Seit es E-Bikes gibt, ist der Radius grösser und die Topografie keine Ausrede mehr.

Aber wie schaffen wir es, die Menschen davon zu überzeugen?

Die 10 000-Schritte-Regel gehört für mich zum Besten. Es ist medizinisch erwiesen, dass sie der Gesundheit viel bringt, und sie ist simpel. Wenn man die Regel konsequent umsetzt, kann man sogar Krankenkassenprämien sparen.
Mit einfachen kommunikativen Mitteln liesse sich viel erreichen und es hätte einen immensen Effekt.
Über kurz oder lang müssen wir die Strassenfinanzierung, die über fossile Treibstoffe läuft, neu organisieren. Weil sich die Autos zu fahrenden Computern entwickeln, hätten wir technisch die Möglichkeit, Kurzfahrten mit höheren Abgaben zu belasten.

Es ist bekannt, dass Menschen ein Auto für einen bestimmten Zweck kaufen, es dann aber aus Bequemlichkeit für viele andere Zwecke ebenfalls nutzen.

Das ist so, man muss sie aus dieser Bequemlichkeit herausholen.
Da ist der Gesundheitsaspekt wahrscheinlich der grösste Treiber. Nie nachlassende Bewegung ist in unserer sehr stark alternden Gesellschaft elementar.

Welche Rolle kommt der Eisenbahn im Verkehr der Zukunft zu?

Die Eisenbahn ist das Verkehrsmittel zwischen den Zentren und im Agglomerationsgürtel. Der Zug hat dort enorme Vorteile.
Kaum jemand nimmt zwischen den Zentren von Bern und Zürich das Auto. Ich möchte daran erinnern, was vor Corona Thema war: die überfüllten Züge. Wir haben ein hervorragendes System, aber wir müssen die Spitzen brechen.
Wie hoch ist die Auslastung der Autobahn an einem Donnerstagnachmittag? Höchstens 30 Prozent. Bloss am Morgen stockt der Verkehr während vielleicht 2 ½ Stunden – dann dauert es einfach ein bisschen länger. Das ist aber kein Argument, eine Autobahn auszubauen.
Ich plädiere dafür, sämtliche Ausbauvorhaben für Strasse und Schiene grundsätzliche zu hinterfragen.

Blicken wir noch auf längere Reisestrecken: Was braucht es, damit sich die Bahn als Verkehrsmittel gegenüber dem Flugzeug durchsetzen kann?

Untersuchungen in Zürich haben ergeben, dass etwas weniger als ein Drittel der Verkehrsbeziehungen regional, knapp zwei Drittel national und nur zwei Prozent grenzüberschreitend sind. Das ist ein Problem.
Bei zwei Städten mit je einer Million Einwohnern und einer Distanz von 200 Kilometern lohnt sich der Hochgeschwindigkeitsverkehr. Liegt eine Grenze dazwischen, lohnt er sich nicht. Jede Bahnverbindung unter fünf Stunden ist einer Flugverbindung überlegen.
Kommt dazu: Eine Reise von Bern im ICE nach Frankfurt ist ausserordentlich angenehm. Ich nehme auch ab und zu den Tageszug nach Wien.

Vom Konzept der Nachtzüge sind Sie bekanntermassen wenig begeistert.

Die klassischen Nachtzüge haben sich überlebt. Sie transportieren zu wenige Menschen und stehen den ganzen Tag über auf dem Abstellgleis. Das hat mir in der Bahncommunity viele böse Kommentare eingetragen.
Ich habe mich gefreut, als mich ein deutsches Unternehmen für Rollmaterial kontaktiert hat: Sie beteiligen sich an einer Ausschreibung des österreichischen Verkehrsministeriums für einen Nachtzug, der mehr Menschen transportiert und auch tagsüber genutzt werden kann. Einzelabteile mit Dusche und WC sind aus ökologischer Sicht fragwürdig.
Ich rate, das Geld für die Subventionen lieber in Sensibilisierungskampagnen zu stecken, beispielsweise um Kurzfahrten im Auto verhindern.

Umfrage: was denken Sie?

1.

Wie wichtig ist Ihnen Ihr ökologischer Fussabdruck?

WWF Footprint-Rechner: https://www.wwf.ch/de/nachhaltig-leben/footprintrechner

Nelly Jaggi

Beitrag aus VCS-Magazin 2/2022


Nelly Jaggi, Leiterin Kommunikation VCS

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