#Schulweg

Mit den Augen des Kindes

Nadja Mühlemann  VCS-Magazin 3/2022

Auf dem Weg zur Schule gibt es vieles zu entdecken und ebenso vieles zu beachten: Wie Kinder die Welt sehen und wie sie lernen, in schwierigen Situationen angemessen zu reagieren.

Was haben kognitive Fähigkeiten mit Verkehrssicherheit zu tun? «Sich im Strassenverkehr zu bewegen, ist eine komplexe Aufgabe», sagt Andrea Uhr, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU). Will man über eine Strasse gehen, muss man zum Beispiel den Verkehr beurteilen und einschätzen, wie weit die andere Strassenseite entfernt ist und wie lange man braucht, um die Strasse zu queren. Erwachsene können all dies schnell beurteilen. Der Prozess ist automatisiert. «Kinder brauchen länger und haben Schwierigkeiten, diese komplexe Situation richtig einzuschätzen.»

Verkehrsplanung für Erwachsene

Häufig ist der Schulweg die erste Strecke, die ein Kind ohne erwachsene Begleitung zurücklegt. Die öffentlichen Räume und die Verkehrsplanung sind in der Regel von Erwachsenen für Erwachsene gemacht. Die Bedürfnisse und Voraussetzungen von Kindern gehen dabei oft vergessen. Es könnte jedoch anders aussehen: «Von den Kindern können wir nicht erwarten, dass sie immer alles perfekt und zuverlässig ausführen. Wir brauchen Lösungen, um die Kinder zu schützen: Eine gute Infrastruktur, Sensibilisierung von Autolenkenden, Eltern und Betreuungspersonen sowie Mobilitätskonzepte wie jene des VCS.»

Die Verkehrserziehung der Kinder ist sehr wichtig. Man dürfe jedoch nicht davon ausgehen, dass Kinder das Gelernte überall und jederzeit richtig umsetzen, sagt Andrea Uhr. Kinder müssen das richtige Verkehrsverhalten nicht bloss nachahmen, sondern verstehen.

Jedes Kind in seinem Tempo

Nicht nur die geringe Körpergrösse macht die Teilnahme am Strassenverkehr für Kinder zu einer Herausforderung. Ihre kognitiven Fähigkeiten sind noch nicht voll entwickelt und sie brauchen viel Übung, um sich genügend Verkehrskompetenz anzueignen. Und dies am besten in einer möglichst sicheren Umgebung. Die kognitiven Fähigkeiten der Schulkinder können nicht pauschalisiert werden. Jedes Kind entwickelt sich unterschiedlich, auch innerhalb der gleichen Altersstufe. Studien zeigen, dass Distanzen im Alter von circa sieben bis neun Jahren eingeschätzt werden können, Geschwindigkeiten im Alter von circa zehn bis zwölf Jahren. «Wann ist das Auto bei mir?», «Wie weit ist der Weg über die Strasse?» oder «Wann und wie schnell muss ich gehen?» sind also Fragen, die sich Kinder vor jeder Querung stellen müssen.

Kinder müssen das richtige Verkehrsverhalten nicht bloss nachahmen, sondern verstehen.

    

Was bedeutet Zumutbarkeit?

Ein weiterer, entscheidender Faktor ist die Sicherheit: Ist der Weg, den ein Kind täglich geht, überhaupt sicher? Häufig wird dabei von der Zumutbarkeit des Schulwegs gesprochen. Ein Begriff, dessen Definition komplex ist. Ob ein Schulweg zumutbar ist, müsse immer im Einzelfall geprüft werden, sagt Uhr: «Es gibt keine allgemeingültige Regel. Die konkrete Situation und das einzelne Kind müssen unter die Lupe genommen werden.» Dabei werden Kriterien wie Distanz, Steigung oder schwierige Situationen ebenso berücksichtigt wie Alter und Reife des Kindes.

Was können Eltern tun, wenn ihnen der Schulweg ihres Kindes unzumutbar erscheint? Der VCS empfiehlt, das Gespräch mit der Schulleitung oder der Gemeinde zu suchen. Eine Möglichkeit ist eine umfassende Schulweganalyse, die Aufschluss über die Sicherheit des Schulwegs gibt. Eine solche Analyse ist Bestandteil der VCS Mobilitätskonzepte Schule. Dabei überprüfen Fachpersonen die Schulwege und erarbeiten Lösungen für einen sicheren Schulweg.

Kognitive Fähigkeiten verbessern?

«Die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten, die es braucht, um sich im Strassenverkehr sicher zu bewegen, ist ein längerer Reifeprozess, der sich je nach Fähigkeit bis ins junge Erwachsenenalter weiterzieht. Das Training und Einüben einer Routine macht aber auf jeden Fall Sinn», sagt Uhr. Sie rät, den sichersten Weg zu suchen und diesen viele Male mit dem Kind zu üben, damit es den Umgang mit der Situation verinnerlichen kann. Diese Meinung vertritt auch der VCS: Mit den Schulwegkampagnen wie dem Pedibus und den Aktionswochen «walk to school» werden Kinder, Eltern und Lehrpersonen auf das Thema Schulweg sensibilisiert. Im Fokus liegt das Üben – der Schlüssel für mehr Sicherheit im Strassenverkehr. Wie würde der beste Schulweg für Kinder aussehen? «Eine Verkehrsumwelt, in der Kinder selbständig und sicher unterwegs sein können, in der sie auch einmal unaufmerksam sein dürfen und in der sie sich gerne bewegen. Damit ihnen der Schulweg Freude macht», sagt Uhr. Wichtig seien tiefe Geschwindigkeiten, möglichst sichere Querungsstellen und viel Aufmerksamkeit von den anderen Verkehrsteilnehmenden.

Kinder sind Lernende – nationale Schulwegkampagne

Die dreijährige nationale Schulwegkampagne vom VCS und von Fussverkehr Schweiz gibt mit der Botschaft «Stoppen für Schulkinder» eine klare Handlungsanweisung an die Autolenkerinnen und Autolenker. Sie fördert das Verständnis der Fahrzeuglenkenden, indem das weiss-blaue «L» im Sujet zeigt, dass Schulkinder Lernende sind und das erlernte Verkehrsverhalten (noch) nicht immer zuverlässig einhalten können.

Eltern und Schulen können sich aktiv in die Kampagne einbringen, indem sie zusammen mit den Schulkindern Banner gestalten und am Schulhaus aufhängen, Flyer an die Eltern ab geben oder an Eltern- und Informationsabenden über das Thema Schulwegsicherheit sprechen.


Informationen und Materialbestellungen unter www.schulweg.ch

Strassen in gelb: «Stoppen für Schulkinder»-Transparente in der ganzen Schweiz

Beitrag aus VCS-Magazin 3/2022


Nadja Mühlemann, Projektleiterin Verkehrssicherheit

Weitere Informationen

Diese Seite wird nur mit JavaScript korrekt dargestellt. Bitte schalten Sie JavaScript in Ihrem Browser ein!
.hausformat | Webdesign, TYPO3, 3D Animation, Video, Game, Print