#AutomatisiertesFahren

«Stine» und Frau Bürgler

Von Nelly Jaggi  VCS-Magazin 2/2023

Die Geschichte von Marion Bürgler und «Stine» handelt von neuen Möglichkeiten, grossen Herausforderungen für Mensch und Maschine und dem kleinen, aber wichtigen Unterschied zwischen einem Schneehaufen und einem Igel.

Für Marion Bürgler war es lange undenkbar, selbst ein Fahrzeug zu lenken. Zu stark ist die Sehschwäche der Klavierlehrerin. Dank «Stine» könnte sich das aber bald ändern. «Stine» sieht auf den ersten Blick aus wie ein herkömmliches Seniorenmobil, ist aber tatsächlich ein autonom fahrendes Fahrzeug. Entwickelt hat es die tüftelfreudige Firma Kyburz, zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Bürgler.

Die Zusammenarbeit ist dem Zufall zu verdanken: Familienangehörige von Bürgler, seit vielen Jahren als Servicepartner für die Firma Kyburz tätig, erwähnten dem Firmeninhaber Martin Kyburz gegenüber, dass Bürgler für ihren Arbeitsweg dringend ein Fahrzeug bräuchte. Das Bedürfnis Bürglers trifft die Firmenphilosophie im Kern. «Autonome Fahrzeuge sollen nicht in Städten die Dienste eines Taxis übernehmen, sondern Menschen dabei helfen, ihre wichtigsten Wege – zur Physiotherapie oder ins Restaurant – möglichst lange eigenständig zu bewältigen », sagt Kyburz und machte daraus kurzerhand ein Forschungsprojekt.

Viel Rechenleistung …

Beim automatisierten Fahren setzt die Firma Kyburz auf verschiedene Systeme: Ein GPSGerät mit zwei Empfängern macht zentimetergenaue Messungen möglich, Kameras, Radar- und Lasersysteme erkennen potenzielle Hindernisse. Ein Infrarotsystem hilft dabei, äusserlich Ähnliches zu unterscheiden – zum Beispiel einen Schneehaufen von einem Igel. Das braucht viel Rechenleistung, da ein Algorithmus darüber entscheiden muss, welches System in welchem Moment die akkurate Information liefert.

Damit «Stine» autonom fahren kann, wird im ersten Schritt eine Spur eingelesen, im zweiten Schritt fährt das Fahrzeug diese Spur ab. Das Verfahren birgt Stolpersteine: Steht ein Hindernis im Weg, stoppt das Fahrzeug und der Mensch muss eingreifen. Um die Fahrt nach dem Ausweichen erneut aufzunehmen, muss das Fahrzeug auf die programmierte Spur zurückfinden. Die Strecke, die Marion Bürgler zurücklegen muss, hat es in sich: Sie ist kurvig, es gibt viele Pflanzen und regelmässige Baustellen führen dazu, dass das Fahrzeug immer wieder auf eine veränderte Situation stösst.

… und noch mehr Vertrauen

Autonomes Fahren fordert aber nicht nur die Technik. Es braucht viel Vertrauen, gerade bei jemandem, der keinerlei Erfahrung mit dem Führen von Fahrzeugen hat. Marion Bürgler konnte bisher weder Velo- noch Autofahren. Während der Testfahrten hat Bürgler festgestellt, dass ihre Sehkraft ausreicht, um assistiert zu fahren. Sie kann also selbst steuern, Gas geben und stoppen. Damit nimmt die Geschichte zwar eine unerwartete Wendung, herausfordernd bleibt es aber trotzdem. «Es kommt vor, dass das Fahrzeug stoppt, weil ein Ast in die Strasse hängt, der mich gar nicht an der Weiterfahrt hindert. Bevor ich weiterfahre, muss ich aber ausschliessen können, dass nicht ein anderes Hindernis Grund für den Stopp war», erzählt Bürgler.

Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen. «100 Prozent zufrieden werde ich sein, wenn Frau Bürgler das Fahrzeug jeden Tag benutzt», sagt Martin Kyburz. Diesem Ziel kommt entgegen, dass Bürgler assistiert fahren wird. Die Zulassung eines autonomen Fahrzeugs sei aus rechtlicher Sicht schwierig, weiss Kyburz. Apropos schwierig: Viele Fahrzeuge verfügen schon heute über zahlreiche Assistenzsystem, die das Fahren sicherer machen. Geht es darum, die letzten 10 bis 20 Prozent der Verantwortung vom Menschen aufs Fahrzeug zu übertragen, wird es unverhältnismässig aufwändig. Den Igel gut und schnell vom Schneehaufen zu unterscheiden, ist eine «Rechenleistung», die der Mensch wohl noch lange besser erledigen
kann.

    

VCS-Magazin 2/23


Nelly Jaggi, Leiterin Kommunikation/Redaktorin VCS-Magazin

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