Der Gipfel des Monte Mottarone liegt auf 1492 m ü. M., ist somit nur mittelhoch. Aber er ruht so frei und unbedrängt zwischen dem Lago Maggiore und dem Lago d’Orta, dass der Rundblick selbst abgebrühte Panoramafachleute ins Schwärmen bringt. 1954 stufte die New York Times die Aussicht vom Mottarone unter die zehn faszinierendsten der Welt ein. In Italien trägt er den Zusatznamen montagna dai panorami fantastici. Besonders fantastisch ist die Fernsicht, nachdem Regen und Wind den norditalienischen Industrie und Verkehrssmog weggefegt haben und die Sonne wieder scheint. Dann sieht man, wie die Alpen im Süden in die Poebene auslaufen.
Man glaubt den Einheimischen aufs Wort, die beteuern, sie hätten an solchen Fototagen die Türme und Spitzen des Mailänder Doms erkannt und die Krümmung der Erdoberfläche gleich dazu. Nicht umsonst wird der Mottarone als Rigi Italiens bezeichnet. Der Tessiner Alpinist und Politiker Federico Balli (1854−1889) bezog sich darauf, als er schrieb: «Das Panorama der Rigi ist streng, jenes des Mottarone voller Lächeln. Auf die Rigi würde ich mich begeben, wenn ich des Lebens müde bin. Auf dem Mottarone möchte ich die Flitterwochen verbringen.»
Zum Wandern eignet sich der Mottarone auch ausserhalb der Flitterwochen. Wobei ihn viele Wege erschliessen. Er ist mehr als ein Berg, nämlich ein knapp zwanzig Kilometer langes Gebirge mit etlichen Nebengipfeln, das sich von der Mündung des Toce bis ins Novarese erstreckt. Für Bahnreisende ist Stresa ein guter Ausgangspunkt, um ihn zu entdecken. Die untere, für Zu-Fuss-Gehende weniger interessante Stufe überwindet man vorteilhafterweise mit der Luftseilbahn. Beim Hinaufschweben hat man ein paar Minuten Zeit für den ersten Blick auf den Lago Maggiore und die Borromäischen Inseln.
Die alte Zahnradbahn
Die Seilbahn gibt es seit 1970. Von 1911 bis 1963 brachte eine Schienenbahn die Passagiere nach oben. Die Ferrovia Stresa-Mottarone (FSM) war die erste italienische Zahnradbahn, und sie besass gleich zwei Talstationen: die eine beim Bahnhof, die andere am See. Die gelben, von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM) gelieferten, elektrischen Triebwagen benötigten für die zehn Kilometer Schienenweg fünfviertel Stunden. Es war bestimmt ein schönes Erlebnis, sich dem Höhepunkt so bedächtig zu nähern. Eisenbahnliebhaber vermissen es heute noch. In den autoverrückten 60er-Jahren erachteten viele die Eisenbahn aber als obsolet und unproduktiv. Die Gemeinde Stresa forderte die FSM auf, die Gleise aus den Gassen zu entfernen, um Platz für den Privatverkehr zu schaffen.
Von der Mittelstation der Luftseilbahn führt ein Fussweg direkt auf den Mottarone. Er benutzt im oberen Teil das ehemalige Bahntrassee. Es lohnt sich jedoch, den Umweg über den Monte Zughero zu machen. Die Route folgt zunächst den Höhenkurven auf einem Natursträsschen nach Norden; sie überquert mehrere Bergbäche und beginnt erst nach einer Stunde zu steigen, dann aber richtig. Der Zughero (1230 m ü. M.) ist eine erste Aussichtsplattform über dem Langensee samt Metallkreuz und Gipfelbuch. Er besteht aus rötlichen Felsen. Ihre runden, durch tiefe Kerben unterteilten Formen erinnern an Elefanten.
Man durchquert jetzt ein kleines Tal, kommt auf der anderen Seite zum Rifugio Alpe Nuovo, wandert über einen Rücken und erreicht eine halbe Stunde später den Kulm. Die Besucher teilen sich die kahle Fläche mit drei Antennenmasten sowie den Touristinnen, die das Panorama und sich selber auf dem Handy verewigen. Sommerrodlerinnen kurven auf den Metallschienen des «Alpylands» hinunter bis zur Bergstation der Luftseilbahn. Auf dieser Geländestufe 120 Höhenmeter unterhalb des Gipfels endete einst auch die Zahnradbahn: neben dem Grandhotel, einer weiteren verschwundenen Attraktion. Nach der Eröffnung 1884 fand sich im noblen Etablissement eine aristokratische Kundschaft aus Italien und halb Europa jeweils zur Sommerfrische ein.