Der Anton aus Tirol

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Eine Bahnreise durchs grenznahe Österreich, wo uns Schlutzkrapfen, die Krimmler Wasserfälle und natürlich Kaiser Franzl erwarten.

Soeben haben wir im «Transalpin»-Zug, der Zürich seit Dezember 2013 täglich mit Graz verbindet, die Grenze nach Österreich passiert. Ohne umzusteigen, erreichen wir nach fünfeinhalb Stunden Saalfelden, wo gerade die Weltmeisterschaft im Four cross (irgendetwas Wildes auf dem Mountainbike) stattfindet. Gut also, können Velos im «Transalpin» mitgeführt werden. Die Hotelbesitzerin mag all ihre Gäste: die Mountainbiker, die mit ihren Helmen mit Visier wie Wespen aussehen, ebenso wie die Wandergäste, die hier Ruhe suchen. Die Downhillstrecke hinter ihrem Haus empfindet sie als spannenden Kontrast zum heimeligen Bergambiente. «Wichtig ist bloss, dass man die 420 Kilometer Wanderwege in unserer Region von den Biketrails trennt», meint sie entspannt. Derweil rutscht ein Dreikäsehoch auf allen Vieren durch die Hotellobby, der von seiner Mutter Anton gerufen wird. Ein echter «Anton aus Tirol» also, wie ihn DJ Ötzi in seinem berühmten Gassenhauer besingt? Die Mutter lacht. «Genaugenommen sind wir hier noch im Salzburgerland. Das Tirol beginnt erst ein paar Kilometer weiter.»

Urchig ist es trotzdem hier. Man sagt noch ungeniert «Grüss Gott». Die weiblichen Hotelangestellten tragen Dirndl und die Bauernhöfe Glockentürme, jede mit ihrem eigenen, charakteristischen Klang. So rief man zu Zeiten, als es noch keine Handys gab, die Feldarbeiter zu Tisch. Zu guter Letzt ist das Taxi, das uns vom Hotel zurück zum Bahnhof Saalfelden bringt, mit «Foaschui» (Fahrschule) beschriftet.

Vom nächtlichen Gewitter habe ich in meinem duftenden Arvenholz-Zimmer nichts mitbekommen. Arvenholz soll ja nachweislich die Herzfrequenz senken; bei mir hat’s offensichtlich genützt. In Zell am See, der nächsten Haltestelle des «Transalpin» hinter Saalfelden, besteigen wir an diesem strahlenden Morgen die Pinzgauer Lokalbahn (SLB). Die marode Regionalbahn wurde 2008 in einer Nacht- und Nebelaktion von einem privaten Bahnunternehmen vor dem endgültigen Aus gerettet und verbuchte seither viele Erfolge: Die private Schmalspurbahn konnte ihre Kundschaft mit jährlich einer Million Passagiere mehr als verdoppeln. Und sie befährt die 53 Streckenkilometer im Halbstundentakt – mit gerade mal 53 Angestellten.

Wir befinden uns jetzt im Gebiet des Nationalparks Hohe Tauern, mit 1836 km2 der grösste Nationalpark der Alpen, der sich bis zum höchsten Berg Österreichs erstreckt: dem Grossglockner auf 3798 Meter ü M. Da wir nicht hochalpin ausgerüstet sind, fahren wir weiter bis zur Endstation Krimml und nehmen von dort den Postbus zum weltbekannten Wasserfall, dem fünfthöchsten der Welt. Als sie an den Niagara-Fällen gewesen seien, habe seine Frau gesagt, «unsere Krimmler Wasserfälle gefallen mir aber besser», erzählt uns ein Einheimischer. Das scheint auch anderen so zu gehen: Auf unserem Spaziergang zum feuchten Naturspektakel, das wissenschaftlich nachgewiesen gegen Asthma und Allergien hilft, treffen wir viele Gäste aus dem arabischen Raum an. Der Nahe Osten ist im Tirol ein wachsender Markt.

Im Bus, der uns über den Gerlospass hinüber ins Zillertal bringt, sitzen hinter uns zwei Schweizerinnen, die ihrem Idol, dem Zillertaler Volksmusiker Marc Pircher, nachgereist sind. Sie sind von der Aussicht ebenso begeistert wie wir (nur beim Musikgeschmack unterscheiden wir uns). Touristen aus dem Nahen Osten sehen wir keine mehr. Das Zillertal ist eher bei den deutschen und holländischen Gästen beliebt, die sich an diesem warmen Tag den Schweiss von der Stirn wischen. Im charmanten Örtchen Stumm, der zweitkleinsten Gemeinde des Zillertals, stehen wir bewundernd vor dem 1550 erbauten Schloss, das sich heute im Besitz der Familie Klatten befindet. Wir ziehen den Hut vor der mutigen Unternehmerin und BMW-Erbin Susanne Klatten, die ihren Liebhaber, einen Schweizer Heiratsschwindler, anzeigte, anstatt sich weiter von ihm erpressen zu lassen. Hier gibt’s eben nicht nur Sisi und Franzl, sondern auch spannenden Tratsch aus der Jetztzeit. Im Landgasthof Linde gleich neben dem Schloss begrüsst uns Hannes Ebster, Chefkoch und Besitzer des Hauses in sechster Generation, mit kehligen «Ch»-Lauten. Sein Ur-Ur-Urgrossvater Josef Ebster kämpfte von 1805 bis 1809 mit dem österreichischem Freiheitskämpfer Andreas Hofer gegen die Bayern und Franzosen. Was für ein edler Stammbaum! Und kochen kann er auch.

Mayrhofen ist das touristische Zentrum des Zillertals. Man kann den Rummel meiden – oder wie wir tagsüber die Bergbahnen des Ortes benutzen und die Nacht etwas ausserhalb verbringen. Auch die Zillertaler trennen die Actionsportlerinnen von den Genusswanderern und Familien: Die Heissblütigen nehmen die Gondel auf den «Actionberg Penken», die Gemütlichen besteigen die Seilbahn auf den Ahorn. Der einheimische Extrembergsteiger Peter Habeler soll über diesen Berg gesagt haben, seine Spitze sehe aus wie jene des Mount Everest. Er habe denn auch auf dem Ahorn fleissig geübt, bevor er zusammen mit Reinhold Messner erstmals den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff bestieg.

Am Bahnhof Mayrhofen begegnen wir Sisi und Franz Joseph beziehungsweise ihren Namen auf einer Gedenktafel, weil sie hier zu Besuch waren. Es heisst, der Franzl habe liebend gerne Tafelspitz gegessen, die österreichische Variante des Siedfleischs; den habe er jedoch dermassen heruntergeschlungen, dass seine Gäste oft mit leerem Magen nach Hause gingen, weil sie nichts mehr essen durften, nachdem der Kaiser fertig war. Das ergeht uns nicht so: Die traditionellen Häuser legen viel Wert auf eine gute Küche, sodass wir bei so viel delikat zubereiteten Schlutzkrapfen, Kaiserschmarrn und Topfenknödel den Gurt nach ein paar Tagen ein Loch weiter machen müssen. Am Bahnhof wartet der historische Dampfzug D212 der Zillertal-Bahn auf uns, der vom Alter her – er ist fast hundert Jahre alt – fast besser in k.u.k.-Zeiten passt als ins Heute. Dafür entspricht sein schwarzer Rauch wohl nicht mehr ganz den aktuellen Umweltauflagen. Die Holzabteile haben für unsere Verhältnisse liliputanische Masse – man war wohl vor hundert Jahren nicht nur von der Grösse her kleiner, sondern auch vom Bauchumfang.

Die einstündige Reise nach Jenbach im historischen Dampfzug macht zwar Spass, ist aber eine Herausforderung für unsere Lungen, die sich Kohleheizungen einfach nicht mehr gewohnt sind. Als wir in Jenbach einen modernen Zug nach Innsbruck besteigen, von wo uns der ÖBB-Railjet zurück nach Zürich bringt, landen wir wieder in der Gegenwart.

Nützliche Informationen

Hin-/Rückreise: Zürich täglich ab 8.40 Uhr, Saalfelden an 14.08, Zell am See an 14.19 (seit Dezember 2014 verkehrt in diesem Zug neu einer der beliebten Panorama-Wagen der SBB). / Jenbach ab 9.04 Uhr alle zwei Std. nach Innsbruck (Dauer 20 Min.); Innsbruck ab 7.40 Uhr alle zwei Std. nach Zürich (Dauer 3 Std. 40 Min.).
Regionalverkehr: www.pinzgauer-lokalbahn.info, www.postbus.at (Krimml Bahnhof -> Krimml Wasserfälle); ab Krimml gibt es eine Linie des SVV (673/671) über den Gernospass ins Zillertal, mit Umsteigen in Königsleiten auf die Linie 4094 von Christophorus: www.svv-info.at, www.vvt.at, www.christophorus.at, www.zillertalbahn.at.

Übernachten/Essen: Landhotel Rupertus, Leogang (Nachbarort von Saalfelden), www.rupertus.at; Das Posthotel, Zell im Zillertal, www.dasposthotel.at; Landgasthof & Hotel Linde, Stumm im Zillertal, www.landgasthof-linde.at; Restaurant Postwirt, Mayrhofen, www.neue-post.at/restaurant-postwirt.html.

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