In Südfrankreich bringt auch ein Nebenfluss bei Radlern Glücksgefühle hervor

Der Duft der Entschleunigung

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Alle lieben die Provence, aber niemand kennt die Drôme, sogar viele Franzosen nicht. Das ist unverständlich, denn der unbegradigte Nebenfluss der Rhone schenkt Velofahrern eine voralpin-mediterrane Tour voller Abwechslung.

Es sind vier Stunden Bahnfahrt von Genf zum Oberlauf des Flusses, dem wir drei Tage folgen wollen. Oder treffender: es wären. Denn der TER-Regionalexpress nach Valence im Rhônetal ist ausgefallen. «Supprimé» wegen eines Brandes an der Strecke. Wir werden annähernd doppelt so viel Zeit brauchen und erst noch an einem andern Ort ankommen.

Also erst einmal Warten – warten unter Südfrankreich-Habitués. Der sonnengebräunte ältere Nachbar auf der Hotelterrasse neben den SNCF-Gleisen sieht schon sehr entschleunigt aus, obwohl er das Buch «Beschleunigung und Entfremdung» von Hartmut Rosa vor sich hat. Er will nach Bollène südlich von Montélimar. Als der nächste Zug zwei Stunden später zwar fährt, aber vor Grenoble zunehmend stockt, wollen uns zwei Schweizerinnen auf den «schönsten Pass» ins Tal der Drôme locken. Wir tun es nicht, er wäre elend steil gewesen.

Ginster, Grillen, Glücksgefühle

Nach einem Pastis beim Stadtbahnhof von Valence sind auch wir entschleunigt. Die Fahrt im Dieseltriebwagen drômeaufwärts nach Luc-en-Diois geniessen wir nur noch. Die Aussicht auf ein nettes Quartier treibt uns bald von der Hauptstrasse weg und das Strässchen nach Barnave hoch. Unser Glück geht uns erst am Morgen richtig auf. Vorerst geniessen wir die vielen regionalen Spezialitäten, die uns Barbara Afendikov in ihrem Garten auftischt, trinken einen lokalen Rotwein und staunen über unsere Unterkunft: Eine frühere Scheune hat sie in ein Gesamtkunstwerk verwandelt, «Zimmer» wäre eine Beleidigung dafür

Am Rand des Dörfchens hat die tatkräftige Frau aus Frankreichs Norden den Gästen ihrer zwei Appartements und sich selber ein kleines Paradies geschaffen, ein Paradies im Paradies eigentlich. «150 Menschen, 300 Schafe», charakterisiert sie Barnave. Ein kleiner Col von hier weiter nach Süden, und man wäre in der Provence. «Dort ist es nicht schöner, nur 30 Prozent teurer, wegen des Namens», brummt Madame. Wir fahren am andern Morgen zurück ins Tal, mühelos, lautlos und vom Fahrtwind erfrischt. Ginster, Grillen, Glücksgefühle: Wie ist das Leben doch so schön! Auf schmalen Nebenstrassen fahren wir zunüchst ein bisschen kreuz und ein wenig quer, halten kurz in einem Dorf mit dem Namen Menglon, umrunden einen Hügel und überqueren nach 20 Kilometern die Drôme – das erste von sechs Malen an diesem Tag.

Zwischen sanft und schroff

Sie ist eine ideale Reisegefährtin, diese Drôme. Mal links, mal rechts, da sanft, dort ungebärdig, hier kühn gewunden, dort in zwei Arme geteilt – nie wird es langweilig in ihrer Nähe. Sie wird uns als längster unkorrigierter Fluss Europas gepriesen. Ganz glauben tun wir dies nicht, gefallen tut sie uns trotzdem. Ihr Wasserfall in einem Bergsturzgebiet oberhalb Luc-en-Diois ist uns wegen des Bahnpechs entgangen. Weiter unten erfreut sie Kanuten, Sonnenbadende, Fischer und Abkühlung Suchende. Der Tourismus hält sich selbst an diesem Auffahrtswochenende in erträglichen Grenzen. Es ist eben noch nicht die Provence.

Im Städtchen Die geraten wir in einen Flohmarkt. Der ist eine farbenprächtige, fröhliche Angelegenheit mit leichtem Hippie-Flair. Die Stadt geht auf die Römer zurück, Reste der Stadtmauer bezeugen es. Flussabwärts fahren wir ein Seitentälchen aus. Auf einem Natursträsschen treten wir mit äusserster Kraft in die Pedale, ein einziges Mal auf der sonst familientauglichen Flusstour. Am Nebenflüsschen Sure begegnen wir einem Konzertpianisten aus den südfranzösischen Cevennen, ein Drôme-Fan auch er.

Noch einmal ein Paradies

Nach Crest fahren wir die letzten Kilometer nach Crest autofrei direkt am Fluss und autoarm durch Obstplantagen. Kurze Abschnitte auf der Hauptstrasse D 104 sind  auf der Flusstour unausweichlich, werden aber meist durch Radstreifen abgemildert. Chabrillan heisst das Tagesziel, ein Dorf am Unterlauf der Drôme. Auch die dortige Auberge La Plaine ist ein kleines Paradies. Erschaffen haben es der Berner Paul Kesselring, 67, und seine Frau Christine, einer Französin. In zwei Jahrzehnten steter Arbeit verwandelten sie eine Bauernhofruine unmittelbar an der Drôme in eine Perle des Drôme-Tourismus. Und in einen ökologischen Musterbetrieb. Die Auberge ist in das «Biovallée» eingebunden, einer Initiative, die das Flusstal zum Öko-Tal weiterentwickeln will – mit 100 Prozent erneuerbarer Energie, biologischer Landwirtschaft und 8000 neuen Arbeitsplätzen im Ökosektor. 

Vorerst planen wir in ihrem Restaurant bei einem köstlichen Abendessen und zwei Gläsern biologischem Wein den Folgetag. Am Ufer gegenüber gäbe es das Drôme-Naturreservat, uns aber locken die Hügel im Süden auf eine Rundtour. Auch nach der Lavendelblüte begleiten uns mediterrane Düfte. Olfaktorische und optische Reize ergänzen sich. Trotz Monokulturen bleibt Raum für üppige Hecken und Gebüsch. Das befestigte Hügeldorf Cliousclat erkämpfen wir uns auf steilen und holprigen Natursträsschen. Das ähnliche Mirmande, von einem Passanten als schönstes Dorf Frankreichs gepriesen, schenken wir uns. Dafür erklimmen wir den Pass mit dem grossspurigen Namen «Col de la Grande Limite» und belohnen uns unten in Marsanne mit einem Krug Apfelsaft im «L’Atélier», wo man essen und danach gleich den Teller kaufen könnte. An der Kreuzung nebenan sticht aus weissen Wegweisern ein gelber hervor. «Oberaula, 975 km» steht darauf. Wo ist Oberaula? In Hessen, Deutschland.

Am letzten Fahrtag nach Valence könnten wir nahe der Auberge zum nördlichen Drôme-Ufer wechseln, zur Rhone fahren und dort weitere 20 Kilometer auf der «ViaRhôna» flussaufwärts. Wir machen jedoch noch einen Schlenker nach Crest, weil wir den Donjon erklettern wollen, einen weithin sichtbaren Wehr- und Wohnturm, den grössten seiner Art in Frankreich. In seinem Gefängnis schmachteten Republikaner und Hugenotten. Auch in Crest ist Markttag. Als Velofahrer widerstehen wir Matratzen und antiken Pendulen, nicht aber den süssen Kirschen. Bei Livron-sur-Drôme erreichen wir den abwechslungsreich geführten Rhone-Radweg. Eigens für diesen ist nahe der Mündung eine Brücke über die Rhone entstanden. Von ihr aus sehen wir einen fetten Karpfen träge in der Drôme liegen. Der würde meinen Begleiter als Fischer locken. Dabei will er uns nach unserer hochgradig entschleunigenden Flusstour doch nur Lebewohl sagen.

Zusatzinformationen:

Doppelte Drôme

«Drôme» bezeichnet einen Fluss, aber auch ein Département. Der Fluss entspringt dem Vercors-Gebirge und fliesst über 110 Kilometer unkorrigiert Richtung Westen und südlich von Valence in die Rhône. Das Département Drôme bildet Teil der Region Auvergne-Rhône-Alpes und ist wesentlich grösser als das Einzugsgebiet des Flusses. Und um die Sache vollends kompliziert zu machen, zählt der südlichste Teil dieses Départements bereits zur Provence. Soll da noch jemand drauskommen! Ein Glück, wirbt die Region mit dem Slogan «Juste la Drôme». Wir beschränken uns im Wesentlichen auf eine Tour dem Fluss entlang abwärts.

Anreise mit dem ÖV

Zwischen Genf und Valence Ville fahren TER-Züge mit kostenloser Velomitnahme, zweimal täglich auch umsteigefrei über Grenoble mit 3¼ h Fahrzeit. Sie entsprechen schweizerischen Regional-Express-Zügen. Weiter nach Luc-en-Diois geht es mit Umsteigen in Valence. Oder, landschaftlich besonders reizvoll, von Grenoble aus auf Nebenstrecken und Veynes-Devoluy. Das erfordert Umsteigen an diesen beiden Orten, dauert aber nicht viel länger.

Tourencharakter

Die Drôme führt in ihrem oberen Teil durch eine voralpine Landschaft. Das heisst: Es gibt die eine oder andere Steigung. Mehrheitlich benützt die Route verkehrsarme Nebenstrassen, auf französischen Karten weiss eingezeichnet. Auf einigen Teilabschnitten kommt man an der roten Hauptstrasse nicht vorbei. Diese ist mässig befahren und oft mit Radstreifen versehen. Kurze Abschnitte der Route haben Naturbelag. Alles in allem ist die Drôme-Tour von Luc-en-Diois bis Valence familientauglich, der Auftakt von Veynes-Devoluy bis Luc dagegen erfreut eher sportliche Naturen.

Etappen

Unser Routenplan:

  • Tag 1: Veynes-Devoluy–Col de Cabre (1180 m)–Luc-en-Diois–Barnave: 58 km, ca. 600 Höhenmeter. (Den Abschnitt Veynes–Barnave haben wir wegen Zugausfall ausgelassen.)
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  • Tag 2: Barnave–Recoubeau–Menglon–Pont de Quart–Die–Ste-Croix–Saillans–Crest–Chabrillan: 77 km, ca. 200 Höhenmeter.
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  • Tag 3: Rundtour ohne Gepäck Chabrillan–Crâne–Cliousclat–Col de la Grande Limite–Marsanne–Chabrillan: 50 km, ca. 1100 Höhenmeter.
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  • Tag 4: Chabrillan–Crest–Allex–Livron-sur-Drôme–Drômemündung–La Voulte-sur-Rhône–Soyons–Valence: 51 km, ca. 150 Höhenmeter.
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Info: Laden Sie die GPS-Daten mit Klick auf den jeweiligen Link "GPS-Daten herunterladen" herunter (Firefox und Chrome), mit dem Internet Explorer oder Safari Browser klicken Sie mit der rechten Maustaste auf den jeweiligen Link "GPS-Daten herunterladen" und wählen Sie dann "Ziel speichern unter". Achten Sie bitte darauf das die Datei mit der Dateiendung ".gpx" gespeichert wird.

Navigation und Karten

Fürs Planen und zur Orientierung unterwegs genügt die IGN-Karte 1:100’000 Grenoble/Montélimar. Sie deckt die ganze Strecke ab. Auf Nummer Sicher geht, wer die Strecke auf dem Velo-Navi dabei hat. Die obigen Etappen können Sie als gpx-Track herunterladen. 

Wegfindung

Ordentlich markiert ist die Tour erst ab Livron, bevor sie in den Rhone-Radweg mündet. Vorher sind Schilder Glückssache und manchmal kryptisch.  Den richtigen Weg findet man trotzdem problemlos. Es gibt einzig drei heikle Stellen.

  • Die: für die Weiterfahrt flussabwärts nach Überqueren der zentralen Brücke sich sofort ans Ufer halten, nicht bis zum Kreisel fahren.

  • La Voulte-sur-Rhône: Hier wird die Rhône erreicht und auf einer Hängebrücke von 1889 überquert. Danach unbedingt gut 100 Meter flussabwärts fahren, nur so lässt sich der Radweg direkt am Ufer erreichen.

  • Vor Valence: Hier wird die Rhone auf dem Velostreifen der Umfahrungsbrücke überquert, was einen Umweg erfordert. Im Strassenwirrwarr danach unbedingt auf jedes einzelne Schild achten und das Flussufer anpeilen. Die weitere Einfahrt in Valence ist problemlos.

Unterkunft

  • Barnave (12 km von Luc-en-Diois): Chambre d’hôtes La Romarine, Barbara Afendikov, www.ventdecouleur.fr, +33 6 37 22 78 29. Ein Gesamtkunstwerk, das nebst den liebevoll durchgestalteten zwei Zimmern (eigentlich Appartements) auch das Frühstück und das Nachtessen einschliesst.

  • Chabrillan (7 km von Crest): Auberge La Plaine, www.aubergelaplaine.fr, +33 4 75 62 82 69. Aus einer Ruine haben der Schweizer Paul Kesselring und seine Frau Christine, eine Französin, über zwei Jahrzehnte eine Vorzeige-Herberge erschaffen – auch in ökologischer Hinsicht. Sie liegt unmittelbar am Ufer der Drôme in der Ebene (daher der Name); also keinen unnötigen Schweiss vergeuden mit einem Anstieg zum Dorf auf dem Hügel. Markierte Zufahrt ab der Hauptstrasse beim örtlichen Sportplatz.

  • Valence: Günstig gelegen für Velofahrer und günstig im Preis sind die drei Hotels direkt am Bahnhof. Wir haben leider das falsche erwischt. Nächstes Mal würden wir es mit dem Hotel Les Négociants versuchen, http://www.hotelvalence.com, +33 4 75 44 01 86.

Sehenswert

  • Luc-en-Diois: «Le Claps» und Saut de la Drôme 2 km südlich – eine urweltlich anmutende Gerölllandschaft, ein Wasserfall und ein kleiner See, erzeugt durch einen Bergsturz im Jahr 1442

  • Die: bezaubernde Kleinstadt mit römischen Wurzeln, umrahmt von Bergen und Hügeln des Regionalen Naturparks Vercors. Altstadt mit südlichem Flair, häufige Märkte.

  • Saillans: Die Kirche St-Géraud lohnt einen Blick (und hilft abzukühlen). Sie stammt im Kern aus dem 11. Jahrhundert, eingemauert ist ein Flechtwerk des karolingischen Vorgängerbaus.

  • Crest: Das Städtchen wird von einer Höhenburg überragt. Mit 52 Metern Höhe hat der «Donjon» von Crest nationales Rekordformat. Das Befestigungsbauwerk war auch Wohnhaus und später Gefängnis für verfolgte Hugenotten. Heute museal erschlossen und auch wegen der grandiosen Aussicht lohnenswert.

  • Valence: unterschätzte Hauptstadt des Département Drôme. Lebendiges Zentrum mit interessanten Bauwerken wie der romanischen Kathedrale Saint-Apollinaire oder dem Palast Maison des Têtes an der Grande Rue mit reichem Kopfschmuck. Inoffizielles Wahrzeichen der Stadt ist der Musikpavillon Kiosque Peynet auf dem Champ de Mars – und darunter, zur Rhone hin, der prächtige Parc Jouvet.

Essen

  • Barnave: bei Gastgeberin Barbara Afendikov (auf Vorbestellung). Für einen zweiten Abend gäbe es im Dorf auch ein Restaurant (nicht getestet).

  • Die und Crest: reiche Auswahl. Von der Nase leiten lassen.

  • Chabrillan: Das Restaurant der Auberge La Plaine mit seiner kreativen französischen Küche ist sehr empfehlenswert, sein Preis-/Leistungsverhältnis hervorragend. Es wird neu in Pacht geführt. Am besten gleich bei der Zimmerbuchung für den ersten Abend mitreservieren.

  • Marsanne: «L’Atélier» an der zentralen Kreuzung vereint Kunsthandwerk, Beiz und Hotel. Das charmante Unikum ist zumindest einen Pausenhalt wert.

  • Valence: lecker marokkanisch im «Tajine» am gastronomischen Hauptplatz, der Place des Clercs, einem winzigen Lokal mit einem Vielfachen an Aussenplätzen. In der Hauptstadt der Drôme-Region darf’s auch einmal etwas anderes als französische Küche sein.

Stationäre Alternative

Wer es gerne gemütlicher angeht, kann das Tal der Drôme mit dem Velo auch stationär ab der Auberge La Plaine erkunden, mit Anfahrt von Valence oder Montélimar über den signalisierten Rhône-Radweg (Via Rhôna). Die Startpunkte Die und Luc-en-Diois sind ab Crest (7 km)  mit dem Zug erreichbar – allerdings nur drei Züge pro Tag. Die Auberge vermietet auch Velos.

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