Einmal Käpt’n sein

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Hausbootferien stehen für Entschleunigung und das einfache Leben. Ob sich die Träume auf dem Canal du Midi erfüllt haben? Und was hat ein Huhn in der Gartenbeiz mit der französischen Lebensart zu tun?

Wer hat’s erfunden? Leonardo da Vinci war’s. Er schaffte es erstmals, Schiffe «bergauf» fahren zu lassen, indem er sie Höhenunterschiede überwinden liess. So tuckern wir auf dem Canal du Midi auf eine der vielen Schleusen zu, geben Gas, drehen das Lenkrad unseres Hausboots ganz nach rechts, fahren in die Schleuse, dann ganz nach links. Einer muss aussteigen und die Seile festmachen, damit das Boot nicht in der Schleuse herumhüpft wie eine Nussschale auf offenem Meer. Bei Höhenunterschieden von bis zu sieben Metern landet das Seil auch mal im Wasser. Dann wird das Schleusentor geschlossen, und bis zu 20 000 Kubikmeter Wasser donnern herab. Das Schiff wird auf den oberen Wasserspiegel gehoben, und weiter geht die Fahrt. Einmal nehmen wir zwei argentinische Touristinnen an Bord, eine davon Geografielehrerin. Sie küsst mich vor Freude, denn sie interessiert sich leidenschaftlich für europäische Flüsse und ihre Fliessgewohnheiten.

Menschengewimmel bei der Ecluse des Fonserannes, einer Touristenattraktion, weil sich hier gleich sieben Schleusen aneinanderreihen. Doch halt, sie machen zu – vor unserer Nase! Vier Stunden Mittagspause. Wir schnappen unsere Mietvelos und radeln hoch ins mittelalterliche Städtchen Béziers. Ein Glück, sind wir nicht mehr durch die Schleusen gekommen. Wir hätten viel verpasst. In der Markthalle ist die Hölle los: Die Fans der Rugbymannschaft AS Béziers Hérault, die an diesem Sonntagnachmittag gegen Narbonne spielt, bringen sich für den Match in Stimmung. Später erfahren wir, dass sich Béziers eine Schlappe geholt hat. Doch noch ist die Laune trinkfreudig und ausgelassen.

Wir schlendern in der Markthalle herum, wo die meisten Stände am Zumachen sind. Ergattern noch etwas köstlichen Chamon Serrano. Grosse Augen machen wir bei der Biobäuerin: Für eine Aubergine, eine Peperoni und ein paar Kartoffeln verlangt sie nur 1.37 Euro! Die Bauern in Frankreich führen ein hartes Leben. Dennoch, hier in der Markthalle von Béziers spüren wir sie, die französische Lebensart, wegen der wir so gern im Nachbarland Ferien machen. Natürlich, auch in Frankreich fährt man immer öfter mit dem Auto ins Centre Commercial und kauft bei Super-U, Intermarché oder Géant Casino. Doch etwas von der mediterranen Lebenskultur hat überlebt, allen EU-Vorschriften zum Trotz. Zwei Tage später treffen wir das lässige «savoir vivre» wieder an, in der Pizzeria von Ventenac. Ich traue erst meinen Augen nicht, als ich aus dem Augenwinkel ein Huhn durch die Gartenbeiz stolzieren sehe. Doch tatsächlich, hier gibt es drei Haushühner, die seelenruhig zwischen Gästen und Hunden im Kies herumpicken. Unser Tischnachbar füttert eins der Hühner und hält die Brotbrocken extra hoch, worauf es Luftsprünge macht wie in einem Zeichentrickfilm. Doch halt, die Kellnerin hat den Missetäter erspäht und kommt angelaufen. «Elle n’a pas le droit de manger», sagt sie streng, doch es klingt mehr wie «du hast nicht das Recht, meine Hühner zu füttern!». Zärtlich hebt sie das Huhn hoch, streichelt es, küsst seinen gefiederten Kopf und setzt es mit grosser Sanftheit wieder ab. Dann geht sie zur Theke und nimmt eine weitere Pizza entgegen.

In der prallen Sonne geraten wir an der Schleuse ins Schwitzen. Hausbootferien sind auch Arbeit. Vor allem die Männer mögen das: Wir sehen doch tatsächlich Erwachsene, die mit ernster Miene eine Kapitänsmütze tragen! Sind mehrere Männer an Bord, gibt es zuweilen sogar eine klare Hierarchie. Wie bei den vier Deutschschweizern, die ganz in der Nähe den besten Anlegeplatz auskundschaften. Der mit dem Bart, der unterste in der Rangordnung, wird vom Schiff geschickt, um den erwählten Platz zu verteidigen. Der Rangoberste dreht lässig am Steuerrad und bellt Befehle zu denen, die das Schiff festmachen. Dabei ist das Schöne an dieser Art Ferien, einmal eine Fünf gerade sein zu lassen, spontan zu entscheiden, wo man anlegen will. Mit dem Boot dürfen wir sogar wild campieren, anders als mit dem Zelt. Das einfache Leben, so wie man es sich als Kind mit dem Robinsonbuch unterm Kopfkissen erträumte.

Der Canal du Midi wurde vor mehr als 350 Jahren vom visionären Ingenieur Pierre-Paul Riquet aus Béziers gebaut. Er überzeugte den König davon, dass ein Transportkanal zwischen Mittelmeer und Atlantik unabdingbar für einen florierenden Handel ist. Doch dann kam die Eisenbahn, und der Kanal wurde überflüssig. Die Zeit lief ihm davon. Dafür laufen die Touristinnen und Touristen heute scharenweise zu ihm. Eine halbe Million sind es jährlich, 122 Millionen Euro werden dank des Kanals erwirtschaftet. Kein Wunder, wenn eines der Boote 22 000 Euro die Woche kostet. Es ist die Alouette, ein stattlicher Kahn, dem wir immer wieder begegnen und mit dessen nettem walisischem Kapitän wir ins Gespräch kommen. Die Alouette nimmt nicht mehr als vier Passagiere auf. Dafür das volle Programm: Luxuskajüten, Koch, zwei Stewardessen und ein eigener Kapitän. Momentan seien ältere Amerikaner an Bord, erzählt der junge Käpt’n. Nur seien sie fast immer in ihren Kabinen am Siesta halten. Unser Boot kostet nicht einmal einen Zehntel, und wir haben deutlich mehr Spass. Vielleicht, weil wir alles selber machen und kein Personal uns den «Four-o’clock-Tea» serviert.

Es gewittert heftig, und wir machen Halt bei der «Auberge du chat qui pêche». Nach Pilzcrêpes und Fisch erzählt uns der Wirt eine traurige Geschichte: Uns ist aufgefallen, dass entlang des Kanals viele Platanen krank sind. Ganze Baumreihen werden abgeholzt, die Strünke von riesigen Maschinen ausgegraben und verbrannt. Ja, sagt er niedergeschlagen, auch seine Lieblingsplatane vor der Auberge hätten sie gefällt. Der Missetäter für das Baumsterben sei ein Pilz, den die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg auf Munitionskisten eingeschleppt hätten. Den Behörden sei das seit 1968 bekannt gewesen. Doch was kümmert es einen Umweltminister in Paris, wenn ein Bürgermeister aus dem Süden einen Pilz meldet? Heute, 47 Jahre später, sind 42 000 Platanen vom Pilz befallen. Die Wiederaufforstung mit pilzresistenten Platanen, Eichen und Pinien kostet 200 Millionen Euro und dauert 20 Jahre.

Wir sind in der Natur! In der Nacht geben tausende Frösche ihr Quakkonzert, und wir werden von konkurrenzierenden Hähnen geweckt, die sich gegenseitig mit ihrem überschlagenden Krähen übertrumpfen wollen. Bevor wir uns in unsere Kajüte zwängen, befestigen wir das Moskitonetz, das wir glücklicherweise mitgenommen haben. Die Mücken summen wütend dagegen.

Nach Feierabend jedoch, während wir an Deck unsere Spaghetti essen, ist es still, wie wir es von zuhause nicht mehr kennen. Und das Licht ist überirdisch. «Die sinkende Sonne bringt Wolken zum Leuchten», wie es ein Schriftsteller beschrieb. Und ja, schon nach einem Tag sind wir entspannt und entschleunigt. Wir kommen wieder.

Einwöchige Bootstour auf dem Canal du Midi

Route: Agde–Carcassone via Portiragnes, Béziers, Colombiers, Capestang, Argeliers (Auberge du chat qui pêche), Le Somail, Ventenac, Homps (hier sollte man spätestens Wasser tanken), Trèbes. Der Abschnitt ist mit rund 40 Schleusen sehr abwechslungsreich. Entlang des Kanals gibt es viele hübsche Ortschaften mit Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants.

Hausboot: Keine Vorkenntnisse nötig, kurze Einführung im Abfahrtshafen. Wir waren mit dem Mittelklassemodell «Espade Concept Fly» unterwegs (wichtig ist, dass man auch vom Sonnendeck aus steuern kann, sonst sitzt man den ganzen Tag drinnen).

Auskunft und Buchung: www.via-verde-reisen.ch

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